Tortengraeber
auffällig, als mitten im Zimmer eine Zigarette anzuzünden, aber dennoch ein Fehler, da es ihr noch nie eingefallen war, eine Scheibe Wurst anders als in Form eines Wurstbrotes zu verzehren. Geräuschlos ließ sie das verräterische Objekt aus ihrem Mund in die Hand gleiten, um es in gewohnter Manier auf einem Stück Brot unterzubringen. Dann schnitt sie es in mehrere Stücke, ging langsam zu Werke, die Gleichmäßigkeit der Abstände beachtend, als könne sie sich ausgerechnet mittels einer sauberen Brotsägearbeit retten.
Sie sägte lange. Zum Essen fehlten ihr dann allerdings die Nerven. Und da nun an diesem Tisch nichts mehr zu tun war, stand sie auf, wobei sie sich auf die Unterlippe biß. Der Schmerz half, das Zittern in den Händen zu mäßigen. Sie griff nach der Wurstplatte und trug sie in die Küche. In welcher sie gewissermaßen wie nach einem langen flaschenlosen Tauchgang an die Oberfläche drang, nach Luft schnappte und den Teller gerade noch abstellen konnte. Es war heiß im Raum. Und die Hitze in ihrem Körper staute sich. Ein Fenster zu öffnen wagte sie nicht. Er hätte angenommen, sie versuche zu flüchten. Einen Abwasch jedoch konnte sie vortäuschen, drehte den Wasserhahn an, hielt ihr Gesicht unter den kalten Strahl, nicht kalt genug, um ein wenig von ihrer Angst zu vereisen. Sie faßte blind nach einem Teller, um ein Geräusch von Arbeit zu simulieren, stieß dabei ein Glas um, welches zerbrach. Für einige Sekunden erlosch das Feuer in ihrem Kopf. Sie wurde ruhig, eben weil es jetzt vorbei war. Sie fühlte sich bereits tot, als wäre der Messerstich, das kurze oder lange Würgen, das Untertauchen des Kopfes im gefüllten Becken, was auch immer nun folgen würde, ein unnötiger, bloß das althergebrachte Bild vom Mord bestätigender Akt, eigentlich überflüssig, nicht viel mehr als eine Zierde. Es war nicht einmal so, daß sie darauf wartete. Weshalb es auch mehrere Minuten dauerte, bis der Herd in ihrem Kopf wieder anging, die Erkenntnis sie erreichte, daß ein zerbrochenes Glas nichts zu bedeuten hatte, für Robert ein viel zu minderer Grund war, um die Sache endlich abzuschließen.
Sie erledigte nun tatsächlich den Abwasch, empfand sich dabei wie ein Selbstmörder, der keine Unordnung zurücklassen wollte. Als sie dann mit nervösem Gleichmut das Wohnzimmer betrat, war dieses verlassen. Paula begann sich umzusehen, im Wintergarten, wo eine Glastür verführerisch weit offenstand, in Roberts Arbeitsraum, im Badezimmer. Sie suchte ihren Mörder. Und fand ihn im Schlafzimmer. Er lag bereits im Bett, die Augen geschlossen, bis zum Nabel aufgedeckt, und summte zur Musik, die aus dem Radio kam. Um etwas Plausibles zu tun, trat Paula vor den Wäscheschrank, wollte aus dem Kleid schlüpfen, war aber nicht fähig, den Reißverschluß zu öffnen und verfiel auf die gewagte Idee, ihn darum zu bitten, ihr zu helfen. Sie wollte Robert aus der Fassung bringen, indem sie ausgerechnet jetzt eine Nähe suchte, die sie seit Jahren vermieden hatte.
Paula schritt auf das Bett zu. Als sie nun seinen nackten Oberkörper sah, der ja auch bloß aus Haut und Haaren und einer darunter verborgenen Verletzbarkeit bestand, fragte sie sich, warum in Herrgottsnamen sie darauf warten sollte, bis er die Güte besaß, ihr den Hals umzudrehen. Es war seine Unverschämtheit, die sie in Rage brachte. Einfach hier im Bett zu liegen, im Wind des Ventilators, das Ohr am Radio, überzeugt, daß sie es nicht wagen würde, das Haus zu verlassen, das Telefon auch nur anzufassen, sich wenigstens einzusperren, zu schreien. Nun, sie würde etwas ganz anderes wagen. Um eine Spur zu entschlossen trat sie aus dem Raum, ging in die Küche und zog, während sie einige Teller lautmalerisch im Regal unterbrachte, ein Messer aus der Lade, eins von diesen Dingern zum Zerteilen ganzer Kühe. Sie hob das Instrument an und sah sich selbst auf der spiegelnden Oberfläche der Klinge. Betrachtete ihre Augen, die vom langen Wasserbad geradezu frisch wirkten, den rötlichen Ton der Ohren, welcher unter den Haarsträhnen durchschimmerte, betrachtete, während ihr Spiegelbild verschwamm, die Sägezahnung und die am rechten Rand befindliche Gravur, die aus einem Wappen und der Mitteilung bestand, daß dieses Produkt aus dem englischen Sheffield und dort aus dem Hause Richardson stammte, und daß es nicht rosten würde. Genau in dem Moment, da sie versuchte, die beiden Wappentiere zuzuordnen, gewahrte sie eine Bewegung auf der Klinge, einen dunklen
Weitere Kostenlose Bücher