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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Sie reagierte nicht einmal. Leider hatte sie nicht Rads Parkglück, fuhr lange herum, ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen.
    »In der Zwischenzeit kann er weiß Gott wo sein«, beschwerte sich Cerny.
    »Wo soll er denn hin?« wehrte sie ab und fand schließlich doch eine legale Lücke, in die sie ihren Wagen mit aller Vorsicht einquartierte. Sie habe noch nie eine Strafe kassiert, und das solle auch so bleiben.
    Als sie in die Stumpergasse kamen, stand Rads Wagen noch an seinem Platz.
    »Na, sehen Sie«, sagte sie und verdrehte die Augen. Er tat es ihr gleich. Sie verschmolzen geradezu miteinander.
    Cerny besah sich die Namen an der Gegensprechanlage. Ein Eduard Rad war nicht darunter. Ein Übersetzungsbüro, ein Tierarzt, einige Magister, einige und , was auf unverheiratete Paare schließen ließ, auch ein schwedischer Name und einer von Hand geschrieben, wohl gerade der Unleserlichkeit wegen. Was immerhin ein Ansatzpunkt gewesen wäre. Doch war es dann der Name, der neben der Bezeichnung Atelier stand, welcher Cerny stutzig machte: Gähnmaul . War das überhaupt ein Name? Und, was schwerer wog: Hatte er sich diese Frage nicht vor kurzem schon einmal gestellt? Er zog die kleine Figur aus seiner Tasche.
    »Die ist doch aus Wieses Praxis«, sagte Else und tippte auf die Bronze.
    »Richtig.« So, wie er es an diesem Tag schon einmal getan hatte, besah er sich die Unterseite des Sockels, wo in einem eckigen Schriftzug der Name Gähnmaul eingraviert war. Cerny hatte angenommen, daß es sich dabei um den Titel der Skulptur handelte, wenngleich die langgestreckte Gestalt nichts aufwies, was eine solche Charakterisierung begründet hätte. Zu Recht, denn offensichtlich handelte es sich bei Gähnmaul um den Namen des Schöpfers der Figurine.
    Cerny hielt Else den Sockelboden vors Gesicht. Und wies dann auf das oberste Schild der Gegensprechanlage.
    »Für den Namen kann er nichts«, sagte sie.
    »Nicht für den Namen.«
    Als eine junge Frau aus dem Haus trat, zwängten sich die beiden an ihr vorbei. Mit dem Aufzug, der wie eine Konstruktion Jules Vernes anmutete, gelangten sie ins vierte Stockwerk und stiegen dann zum Dachgeschoß hinauf. Cerny schlug gegen die fleckige Metalltür, auf der statt eines Namens ein Gesicht aufgemalt war. Der Mann, welcher öffnete, trug ein schwarz und weiß gestreiftes Hemd, das mit seinem Bart korrespondierte. Einst dürfte ihm das Gesicht auf der Tür gehört haben, bevor das Alter wie eine Heckenschere über seine Haut gefahren war. Obwohl klein und greisenhaft, mochte man ihn nicht als Männchen bezeichnen. Aus den aufgekrempelten Ärmeln ragten muskulöse, breite Arme, wahrhaftige Geräte. Was ein wenig aussah, als handele es sich um Prothesen, die einem anderen, größeren Menschen gehörten. Man hätte aber auch sagen können, der ganze Mann erscheine als eine Prothese, und nur die kräftigen Arme seien menschlich. Wie auch immer, ganz offensichtlich arbeitete Herr Gähnmaul auch an monumentalen Skulpturen.
    »Cerny, habe ich recht?« sagte er und hielt seine Hand hin. Cerny nahm sie mit gebührender Vorsicht. Der Druck war nicht fest. Und doch hatte er das Gefühl, in die Aushöhlung eines Gesteins zu greifen.
    Else stellte sich selbst vor. Erklärte, wie sehr es sie freue, den Mann kennenzulernen, dessen Arbeiten sie in Wieses Büro stets bewundert habe. Sie wolle nichts zerreden, aber dieser realistische Ausdruck trotz beträchtlicher Abstraktion sei erstaunlich.
    Gähnmaul wiederum war erstaunt, daß Polizistinnen in die Analyse gingen. Else Resele aber fand nichts dabei.
    Cerny befürchtete, daß sich alles in Plauderei und Wohlgefallen auflösen würde, räusperte sich. Wollte wissen, woher Gähnmaul seinen Namen kannte.
    Statt zu antworten, bat der Bildhauer die beiden, einzutreten. Das Entree ähnelte einem Stollen. Nicht höher als Cerny. Else mußte den Kopf einziehen.
    »Eduard hat mir gerade von Ihnen erzählt«, sagte Gähnmaul.
    »Wie schön.«
    »Ich habe ihm gleich gesagt, daß es ein Fehler war, direkt hierherzukommen. Er aber hat behauptet, niemand sei ihm gefolgt. – Na gut. Warum die Sache nicht hinter sich bringen.«
    Sie traten in einen hohen Atelierraum. Das Licht hing trüb im Raum, wie eine Schwade, unter der es dunkel blieb. Auf den Fenstern lag der Dreck eines Jahrzehnts. Der Raum war gefüllt mit meterhohen Stelen, kirchturmartige Gebilden, deren bedrohliche Wirkung sie einer leichten Schrägstellung verdankten sowie dem Umstand, daß die

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