Tortengraeber
Fleck, der hinter ihrem Gesichtsausschnitt aufgetaucht, rasch zur Messerspitze geglitten und aus dem Spiegel herausgetreten war. Als sie herumfuhr, war niemand zu sehen. Die Küchentür hatte sie selbst offengelassen, damit Robert die harmlosen Geräusche der Geschirrbeseitigung vernehmen konnte. Doch da war etwas gewesen. Und tatsächlich drang nun Roberts Stimme aus dem Wohnzimmer. Er telefonierte, sprach von einer Konferenz, nannte Daten, lachte auf diese geschäftsmäßig unverbindliche Art und entschuldigte sich nochmals für den späten Anruf. Längst hätte Paula das Messer zurücklegen, zumindest hinter ihrem Rücken verstecken müssen. Sie stand jedoch mit der ausgerichteten Klinge in der Mitte des Raums, als wollte sie die Luft aufschneiden. Vernahm seine Schritte.
Vielleicht wäre sie imstande gewesen, auf einen Liegenden, einen Mann mit geschlossenen Augen, der bloß frech vor sich hin pfiff, einzustechen, aber wenn er jetzt zu ihr in die Küche treten und sie ansehen würde, amüsiert, den Arm ausgestreckt, mit offener, nach oben gerichteter Handfläche, damit sie, das dumme Kind, ihm das Messer übergeben konnte, dann … Er kam nicht in die Küche, ging daran vorbei, als hätte er sie nicht bemerkt, trat wieder aus ihrem Blickfeld und bewegte sich den Gang hinunter, der zum Bad führte, welches links von der Wohnungstür lag. Sie horchte so angestrengt, daß sie das Glucksen eines unterdrückten Lachers zu hören meinte. Eine Tür wurde geöffnet, wieder geschlossen. War er tatsächlich aus dem Haus gegangen? Seiner Sache so sicher, daß er sich die Freiheit nahm, bloß mit einer Unterhose bekleidet, in der Garage nach dem Rechten zu sehen oder seinem gepflegten, unkrautfreien Rasen gute Nacht zu sagen, etwas in der Art?
Paula löste sich aus ihrer Starre. Die Stellung des Messers behielt sie sinnvollerweise bei, als sie sich jetzt ebenfalls auf die beiden Türen zubewegte. Sie wußte nun, daß Robert noch im Haus war. Aus dem Badezimmer war das Geräusch der über die Zähne fegenden Borsten zu vernehmen, dazu das Gebrummel dessen, der da seine Zähne bürstete, das rhythmische Getrommel, welches er mit seinen Hausschuhen auf dem Fliesenboden erzeugte, das mehrmalige Ausspucken, die ganze Tonleiter eines hygienisch verantwortungsvollen Menschen, der nicht so einfach dahinmorden wollte mit Mundgeruch und ungewaschenen Ohren.
Als Paula den Klang des auf den Emailkörper des Klosetts auftreffenden flüssigen Strahls vernahm, wollte sie eintreten und das Messer endlich in seinem Rücken loswerden. Er pinkelte immer im Stehen, prinzipiell. Sie hielt sich aber gerade noch zurück. Woher konnte sie sicher sein, daß die Tür unverschlossen war? Das Rauschen der Klospülung ersparte ihr weitere Überlegungen. Seinen Rücken konnte sie vergessen. Sie wollte darauf warten, daß er aus dem Badezimmer kam. Sie würde ihm in die Augen sehen müssen. – Als sie ihm das Jawort gegeben hatte, war das nicht nötig gewesen. Erst recht nicht beim Küssen, welches ja traditionellerweise in Blindheit erfolgt. Nun aber würde es ihr nicht erspart bleiben: Auge in Auge. Sie hob das Messer über die Schulter, kam sich lächerlich vor, wie die Karikatur einer Frau, die Männerarbeit verrichtete und sich dabei umständlich anstellte. Sie spürte den Druck ausbrechender Tränen. Nicht, weil sie Mitleid mit ihm hatte, sondern weil er sich Zeit ließ und sie nicht sicher war, wie lange sie dieses Messer noch halten konnte.
Als endlich das Geräusch einer sich öffnenden Tür an ihr Ohr drang, war sie verwundert, denn das Badezimmer blieb verschlossen. Was seinen Grund in der Tatsache hatte, daß Paula auf die falsche Tür schaute, das Messer in die falsche Richtung hielt. Und dabei blieb es. Das einzige, was Paula nun bewegte, war ihr Kopf, den sie langsam, stockend nach rechts schob. Robert stand in der Eingangstür, sein Grinsen so breit, als sei das hier eine Preisverleihung. Nun, ein Triumph war es wohl. Er hatte die Spülung betätigt und war aus dem Badezimmerfenster geklettert. Und war sich sicher gewesen, daß, wenn er durch den Eingang kam, sie noch immer in gekrümmter Haltung, ausgerüstet mit ihrer spaßigen Küchenwaffe, vor der falschen Tür stehen würde. Hinterhältig, aber dumm. Zu feig, um sich davonzumachen, hatte sie ihr Heil ausgerechnet darin gesucht, den Spieß umzudrehen. Diese Unverfrorenheit würde er nun bestrafen. Und das Messer in ihrer Hand war gar nicht die schlechteste Lösung. Er schloß die
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