Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
bestand genaugenommen sein Tod.
    Als Vavra hörte, wie die Eingangstür ins Schloß fiel, fuhr er zusammen, beruhigte sich aber sogleich. Der Mörder hatte die Wohnung verlassen. Und Vavra wollte es ihm gleichtun. Wartete noch ein wenig, um nicht etwa dem aus unerfindlichen Gründen zurückeilenden Mann in die Arme zu rennen. Warf einen Blick in die Küche, wo noch immer das Wasser lief. Das Messer lag im Abtropfständer. Doch was auch immer der Mann abgewaschen hatte, das Messer war es nicht gewesen.
    Vavra ging zurück zum Klavier, wo er sich noch einmal in der Betrachtung der verschlungenen Lebendfalle verlor. Er war irritiert, er begriff nicht, wie es möglich war, im von außen unzugänglichen Zentrum der Konstruktion den Köder zu plazieren. Nur eine Maus selbst hätte zu diesem Platz vordringen können, eine Köder legende Maus.
    Stimmen, die vom Gang her kamen, holten Vavra aus seinen Überlegungen. Er ging hinter einem Schrank in Dekkung. Ein Geschrei schwoll an, entfernte sich aber gleichzeitig. Vavra verließ die Wohnung. Als er den Hof erreichte, saßen Kinder im Schnee, wie kleine Mönche in Anoraks, in sich gekauert, wie es schien, meditierend, auf ein Heiligtum konzentriert, das in ihren Schößen lag. Playstation.
    Er trat hinaus in die Taubenhofgasse. Von der Favoritenstraße her bog soeben ein Mann um die Ecke, ein gedrungener Kerl in Natojacke, welcher Vavra erkannt hätte, hätte er ihn von vorne gesehen.
    Dieser Mann, der aus einem Taxi gestiegen war, hatte während der Fahrt jene Mappe studiert, die den Fall Hafner dokumentierte. Darin befanden sich auch mehrere Fotografien Vavras. Es wäre wohl ein Glück gewesen, wären sich Vavra und Cerny bereits in diesem Moment begegnet. Doch marschierte Vavra in die andere Richtung. Ein wenig hatte er das Gefühl, nun könnte ein neues Leben beginnen, auch wenn das alte nicht ohne Unklarheiten geendet hatte. Freilich wäre ihm lieber gewesen, wenn dieses neue Leben zu einer freundlicheren Jahreszeit seinen Anfang genommen hätte. Um so mehr, als ein festes Quartier nicht inkludiert schien. Aber die Angelegenheit war ohnedies noch nicht abgeschlossen. Denn als Vavra auf der Wiedner Hauptstraße durch die Fensterscheibe der Konditorei Aida sah, entdeckte er einen kleinen, runzeligen Mann, der den unverkennbaren, violett schimmernden Ledermantel trug und hastig, aber mit widerwilligem Gesichtsausdruck eine Torte verschlang.
    Vavra hätte einfach weitergehen können. Er war kein Freund der Aida-Lokale, dieser Konditoreien mit dem Flair von Miederboutiquen. Und er war dem Unbekannten keineswegs gram, Wiese ermordet zu haben. Dennoch trat er ein, stellte sich an einen Stehtisch, bestellte Kaffee und ein Baiser und beobachtete den anderen, der gerade ein zweites Tortenstück mit nervöser Hast zerteilte und sich in den Mund stopfte. Nachdem er auch noch eine Zimtschnecke hinuntergewürgt hatte, schien wie mit einem Schlag alle Erregung von ihm abgefallen. Er lehnte sich zurück, öffnete seinen Mantel, steckte sich eine Zigarette an, wirkte zufrieden, als habe er endlich eine Arbeit abgeschlossen, als sei auch der Freßakt Teil der Tötung gewesen. Nach einer zweiten Zigarette erhob er sich und verließ das Lokal. Vavra folgte ihm, empfand dies nun als folgerichtig. Er hätte nie das Aida betreten sollen, so wie er auch nie den beschrifteten Zwanzig-Schilling-Schein hätte annehmen dürfen. Das sind die Mißgeschicke, die sich nicht ausradieren lassen. Wir leben in den Fußstapfen unserer Fehler.
    Der andere bummelte in Richtung Innenstadt, sah in Auslagen, stellte sich gegenüber der Technischen Universität an eine Würstelbude, trank ein Bier. Dann begab er sich in jene Passage, die wie ein voller Magen unter dem Karlsplatz rumort. Der geruhsame Gang des kleinen Mannes wirkte hier unten befremdlich, als spaziere er durch einen Park. Die Penner und Junkies standen herum wie schlampig aufgestellte, ausgebleichte Plastikmännchen. Playmobil von gestern. Während die berufstätigen Passanten durch die Anlage rasten, als gelte es, den Ausstieg aus der Hölle zu finden.
    Im Bereich des unter der Ringstraße gelegenen Rondeaus erstand Wieses Mörder zwei Krapfen, jene in Schmalz gebackenen, faustgroßen, im Idealfall mit einer marmeladenen Füllung ausgestatteten Mehlspeisen, die im Lukas unter der Bezeichnung Jungfrauenherzen angeboten wurden. Der Mann schien in die alte Anspannung zu verfallen. Es sah aus, als wollte er die Hefeteigkörper totbeißen, schluckte

Weitere Kostenlose Bücher