Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
zuzusehen, wie Blitze die Städtchen auf den Hügelkuppen einen Augenblick lang hell erleuchten. Das aufsehen erregendste darunter ist zweifellos San Gimignano. Seine vielen mittelalterlichen Türme ragen in den Sturmhimmel und wirken noch dramatischer als bei Tageslicht, denn dann sind sie im Dunst oft nur schwer erkennbar. Wenn ich San Gimignano in der Ferne betrachte, frage ich mich, ob dieses architektonische Kleinod mich so in seinen Bann zieht, weil es als eines der wichtigsten Wahrzeichen der Toskana gilt oder weil es künstlerisch wirklich so vollkommen ist, dass man seine Schönheit auch aus größter Entfernung wahrnehmen kann. Der Wind pfeift in immer schrilleren Tönen, aber mein Hund schläft friedlich in seiner Ecke, sehr zufrieden, dass er drinnen ist und nicht auf einem seiner nächtlichen Ausflüge in den Wäldern.
Nach etwa zwanzig Minuten zieht der Sturm nach Süden ab, und der eben noch ohrenbetäubende Donner verebbt zu einem entfernten Grollen. Die Blitze werden deutlich schwächer, und der schon erblühte Kirschbaum bewegt sich nicht mehr hin und her. Sein Schatten auf der Zimmerwand hält inne wie ein Tänzer nach einer wilden Arabeske. Bevor ich unter die Decke krieche, öffne ich das Fenster und atme die noch immer ozonhaltige Luft ein. Ihr Duft ist unbeschreiblich. Es riecht nach feuchter Erde, frischem Gras und blühenden Blumen. Im Bett denke ich an den kommenden Tag, der ganz bestimmt schön sein wird. Nach einem Gewitter ist der Morgen meist klar und mild und der Himmel wie mit dem Pinsel hingekleckst.
Und so ist es dann auch. Cristina und ich nutzen das herrliche Wetter und frühstücken im Garten, inmitten von hunderten von Mohnblumen, die da und dort auf der Wiese aufgeblüht sind, zufällig und doch wie auf einem impressionistischen Gemälde. Die frische Luft spendet Energie für den ganzen Tag. Während wir sie einatmen, beobachten wir die ersten Bienen, die auf dem Pfirsichbaum Blüte um Blüte besuchen. Der Baum wird uns bald reife, süße Früchte schenken.
An einem solchen schönen Morgen machte ich mich auf den Weg, um ein neues Kundenpaar zu treffen. Ich kam in der Villa Scacciapensieri an, einem schönen Vier-Sterne-Hotel, dessen zungenbrecherischer Name meinen Englisch sprechenden Kunden jedes Mal Schwierigkeiten bereitet. Viele Gäste genossen den schönen Morgen offensichtlich. Sie saßen draußen unter einem prächtig rankenden Blauregen, der in voller Blüte stand, und nahmen ihr Frühstück ein.
Bruce, der große rothaarige Portier, begrüßte mich wie immer mit seinem merkwürdigen toskanisch-schottischen Akzent und erkundigte sich, wer meine heutigen Gäste seien.
»Die Taylors«, antwortete ich. Er warf mir einen halb spöttischen, halb belustigten Blick zu, und ich verstand, dass es sich hier um besonders interessante Leute handeln musste.
Wie üblich wartete ich in der Eingangshalle auf meine Kunden. Ich setzte mich in einen bequemen Sessel und überflog das Lokalblatt. Wie tüchtig die Redakteure doch sind in einer Stadt, in der eigentlich nie etwas geschieht, und dennoch bringen sie jeden Tag eine neue Ausgabe zustande!
Meine Lektüre eines Beitrags auf der ersten Seite über einen Unfall im Haushalt – eine Frau hatte sich beim Kartoffelschälen in den Finger geschnitten – wurde durch das Erscheinen von zwei ungemein schönen Frauen unterbrochen. Sie waren beide blond, sehr gut gebaut und hatten auffallend blaue Augen. Ihre Ähnlichkeit spiegelte sich auch in den Kleidern wieder. Beide trugen rosarote Turnschuhe, enge Jeans und ein sehr eng anliegendes T-Shirt, das den umfangreichen Busen nur mit Mühe umspannte. Sofort tippte ich auf Schwestern oder gar Zwillinge.
»Das werden die Taylors sein«, dachte ich ohne das geringste Bedauern. Meine Vermutung wurde durch ihren unverkennbaren New Yorker Akzent bestätigt und auch wegen der Tatsache, dass sie mit ihren über die Schultern geworfenen Rucksäcken und den am Hals baumelnden Fotoapparaten offensichtlich darauf warteten, zu einem Ausflug abgeholt zu werden.
Ich schoss aus meinem Sessel hoch und sagte fröhlich: »Hallo! Ich bin Dario. Sind Sie bereit?« Sie nickten und lächelten, wobei sie das amerikanischste aller Merkmale zeigten, nämlich blendend weiße Zähne in so gleichmäßigen Reihen wie die Tasten eines Klaviers. Äußerst erfreut, meinen Tag mit diesen beiden umwerfenden Frauen zu verbringen, begleitete ich sie zu meinem Kleinbus. Als sie Platz genommen hatten, fragten sie mich, wie
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