Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
lange die Fahrt nach Rom dauere.
»Rom?«, fragte ich verblüfft. »Aber … haben Sie nicht einen Ausflug ins Chianti-Gebiet gebucht?«
»Nein, nein!«, war die Antwort. »Wir warten auf ein Taxi zum Flughafen.« Ich hatte das Gefühl, langsam in mich zusammenzusinken wie ein Autoreifen mit einem Loch.
Mit finsterem Gesicht begleitete ich sie zum Hotel zurück, wo Bruce, der die Szene beobachtet hatte, hämisch über meine Betretenheit grinste und dann auf ein Paar deutete, das eben aus dem Lift trat.
Er war ein distinguierter Herr um die siebzig mit einem polierten Glatzkopf. Er trug eine Sonnenbrille im Stil der Fünfzigerjahre, ein Poloshirt von Ralph Lauren, eine ausgebeulte kurze Hose wie General Rommel, schneeweiße Socken, die bis zu den Knien reichten, und an seinen riesigen Füßen Schuhe von Clarks.
Sie hatte einen blonden, fast weißen Haarschopf, einen durch ihren phosphoreszierenden Lippenstift etwas deformierten Mund und eine dicke Schicht Puder auf dem Gesicht, aus dem die Augen dank der kräftig grünen Mascara Furcht erregend herausstachen. Sie trug eine glänzende goldgelbe Jacke über einem schwarzen, mit Pailletten reich besetzten T-Shirt und eine enge Stretchhose mit Leopardenmuster, die sie in hochhackige schwarze Stiefel gestopft hatte. Am meisten aber fiel sie auf, weil sie wie das Schaufenster eines Juweliergeschäfts aussah. Sie trug Goldperlen, so groß wie Christbaumkugeln, weshalb sie auf den ersten Blick unecht wirkten. Diese Kugeln waren über sämtliche verfügbaren Vorsprünge der Dame drapiert wie an einem Weihnachtsbaum. Zum Glück hatte ich am Tag zuvor angerufen und um sportliche Kleidung gebeten. Wie, um Himmels willen, wäre die Dame erschienen, wenn ich das nicht getan hätte?
In diesem Augenblick fuhr mein glücklicherer Kollege vor dem Hotel vor, und ich schaute zu, wie die zwei blonden Prinzessinnen in seinen Wagen stiegen und mit ihm davonbrausten.
»Sind Sie Dario?« Diese Frage brachte mich zu meinen wirklichen Kunden zurück. Beinahe hätte ich Nein gesagt, nickte dann aber doch, und so stellten die beiden sich vor.
Der Ausflug begann recht gut, abgesehen von ein paar kleineren Unannehmlichkeiten. Mrs. Taylors Goldjacke und die vielen Juwelen blendeten mich dermaßen unter dem durchsichtigen Schiebedach meines Wagens, dass ich den Rückspiegel schräg stellen musste. Außerdem bestand Mrs. Taylor darauf, dass jedes Mal, wenn wir durch eine noch so kleine Ortschaft fuhren, die Fenster hochgekurbelt und die Türen von innen verriegelt wurden. Offensichtlich hatte sie Angst, man könne das Auto überfallen und versuchen, dessen gleißende Last zu entwenden.
Auf dem Fußweg zu den Etruskergräbern musste sie einen ihrer Stiefel ausziehen, weil sich ein Absatz zwischen zwei Steinplatten verkeilt hatte. Beim Mittagessen aß sie so wenig wie ein Vögelchen, aber zum Ausgleich leerte sie eine volle Literflasche Diät-Cola. Sie rief mich dreimal ins Damen-WC des Restaurants. Das erste Mal konnte sie den Lichtschalter nicht finden, dann wusste sie nicht, wie die Spülung zu betätigen war, und das dritte Mal hatte sie es fertig gebracht, sich einzuschließen. Ich muss gestehen, dass ich ernsthaft versucht war, sie in der Falle sitzen zu lassen. Hätte ich das nur getan! Ich hätte mir den Anblick ihres »aufgefrischten« Showgirl-Make-ups erspart, der mein Leben bestimmt um einige Jahre verkürzt hat.
Bei weitem der merkwürdigste und mir bis heute schleierhafte Aspekt des Ausflugs war, dass Mrs. Taylor davon überzeugt war, dass ich sie nicht verstehe. An diesem Vorurteil hielt sie auch fest, nachdem wir uns einander vorgestellt hatten. Obwohl ich nicht nur fließend Englisch spreche, sondern, wie man mir sagt, über einen sehr gepflegten britischen Akzent verfüge, sprach Mrs. Taylor mit mir wie mit einem Kind oder einer geistig behinderten Person. Sie sagte jedes einzelne Wort betont langsam und begleitete es mit ausholenden Gebärden. Wegen all der baumelnden Armbänder und Juwelen erzeugte jede dieser Gesten einen unangenehmen metallischen Lärm und Geblitze wie bei Momentaufnahmen.
Als wir eine Kirche besuchten, sagte sie plötzlich wild gestikulierend: »Daario, wir haben soo viele Kunstwerke derselben Famiiilie gesehen. In jeder Stadt und in allllen Museen und Gallllerien sind Meisterwerke dieser einen Famiiilie aus den verschiedensten Jahrhunnnderten ausgestellt. Wie konnte eine einzige Famiiilie soo viele Genies hervorbringen?«
Obwohl ich in der
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