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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
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und Schwatzen versammelten. Den Boden hatten schwere Schuhe in Jahrhunderten abgenutzt, sodass er nicht mehr eben, sondern wellig war. Fosco war sichtlich bewegt, als er mir zeigte, wo der große Holztisch gestanden hatte, an dem er mit den weiteren neunzehn Personen seiner Familie gesessen hatte. Er erinnerte mich daran, dass es damals kein elektrisches Licht gegeben hatte und dass das Wasser aus dem Ziehbrunnen im Innenhof geschöpft werden musste, auf den er nun durch ein offenes Fenster deutete. Mit feuchten Augen erinnerte er sich an lange Abende vor dem flackernden Feuer. Man röstete Kastanien und trank Wein, während die Frauen nähten und sein Großvater Geschichten erzählte, denen alle in beinahe andächtiger Stille zuhörten.
    Bei jeder der vier Ecken des Eingangsraumes befand sich eine Tür. Die erste führte in ein Zimmer gleich neben dem großen Kamin. Weil dies der wärmste Raum war, schliefen hier die älteren Leute. Durch die gegenüberliegende Tür ging es auf einen langen Gang, von wo aus man in vier weitere Zimmer gelangte. Hier schliefen die Kinder. Wenn man sie jetzt sah, mit zerbrochenen Fensterscheiben und fast gespenstisch still, konnte man sich kaum vorstellen, dass sie einst mit Stimmen, Wärme und allerlei Hausrat gefüllt waren. Nur eine Schleiereulenfamilie brachte etwas Leben in diese staubige Einöde. Sie hatte ihr Nest unter den Deckenbalken.
    Wir gingen zurück und gelangten durch die dritte Tür in den anderen Gebäudeflügel. Auch hier gab es ein paar leere Zimmer. Außerdem führte eine Treppe zum Türmchen hinauf. Der oberste Raum diente als Taubenschlag. Zudem lagerten die Bauern hier ihren kostbaren Vin Santo, den süßen Wein, den sie nur zu besonderen Anlässen hervorholten.
    Die letzte vom Eingangsraum abgehende Tür öffnete sich auf eine abwärts führende Treppe. Hier waren die Spinnweben so dicht, dass wir nur mit Mühe zu den großen Räumen beim Innenhof hinabsteigen konnten, in denen die Bauern ihre Gerätschaften aufbewahrten. Wir standen in den verlassenen Ställen, die einmal voller Vieh und Werkzeug gewesen waren. Jetzt lagen nur Strohballen und ein paar Holzhaufen herum. Im Hof draußen deutete Fosco auf den Schweinestall, ein niedriges Gebäude, weit vom Haus entfernt. Er versuchte, mir ein Bild vom täglichen Leben auf dem Bauernhof zu vermitteln: frei laufende Hühner auf der Futtersuche, die Ställe voller Milchkühe und rund um die Gebäude kleine Weinberge, Getreideäcker, ein Gemüsegarten und Obstbäume. Trotz aller Schwierigkeiten konnte selbst auf einem kleinen Bauernhof alles Lebensnotwendige für die Selbstversorgung angebaut werden, nur Salz stellte ein Problem dar. Fosco sagte, sie hätten aus Zuckerrüben sogar Zucker gewonnen und Seidenraupen gezüchtet, die sie mit den Blättern von zwei hier wachsenden Maulbeerbäumen fütterten.
    Weil ich keine Toilette bemerkt hatte, erkundigte ich mich danach. Fosco lachte und deutete auf eine kleine Hütte mit einer winzigen Tür, weit weg vom Haus. Neugierig wollte ich den Ort auskundschaften. Ich stieß die Tür auf. Drinnen stieß ich auf zwei verformte hölzerne Trittbretter und ein direkt in die Erde gegrabenes Loch. Als ich vor dieser spartanischen Vorrichtung zurückschreckte, stolperte ich über einen alten Lederschuh. Fosco hob ihn auf, und nachdem er ihn eingehend betrachtet hatte, schloss er angesichts der beachtlichen Größe darauf, dass er seinem Vater gehört haben musste.
    Ein alter Karren mit großen Korbflaschen unter einer jahrhundertealten Staub- und Schmutzschicht stand gegen eine Wand gelehnt, eine Wand, die um 1500 gebaut worden war. Was mir eine erfreuliche Entdeckung zu sein schien, brachte bei meinem alten Freund anscheinend schmerzliche Erinnerungen an Zeiten großer Armut in seinem Bauerndasein zurück. »Dario,« sagte er und zeigte mir die Schwielen in seiner geöffneten Hand, »du hast sicher bemerkt, wie die Leute meiner Generation gebückt und frühzeitig gealtert sind. Unser Leben war nicht leicht. Wir arbeiteten oft sechzehn Stunden am Tag auf den Feldern und versuchten, diesem kargen, geizigen Chianti-Boden alles abzuzwingen, was er uns nur geben konnte. Wir aßen immer die gleichen Dinge, und das nie im Überfluss, denn wir besaßen praktisch nichts. Schlimmer noch, am Monatsende kam der Landeigentümer, und wir Halbpächter mussten ihm die Hälfte des mageren Ertrags abgeben. Das nächste Dorf war achtzehn Kilometer entfernt. Ein Pferd konnten wir uns natürlich nicht

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