Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
italienischen Kunstgeschichte recht gut beschlagen bin, wusste ich nicht, wen sie meinte, und so fragte ich: »Von wem sprechen Sie?«
Als ob man den Namen nicht anders als ehrfurchtsvoll flüsternd aussprechen dürfe, sagte sie mit leiser Stimme: »Von der Familie Circa.«
Ein guter Reisebegleiter ist stets diplomatisch. Ein guter Reisebegleiter lässt sich auch bei der größten Provokation nicht zu einem schlecht gelaunten Kommentar hinreißen. Ein guter Reisebegleiter – sei es noch so verlockend, ruft niemals seinem Kollegen in der Nähe zu: »Die Dame hier will etwas über die Circa-Familie wissen! Und wie blöd sind deine Kunden?« Nein, ein guter Reisebegleiter verhält sich so wie ich. Er neigt den Kopf leicht zur Seite, schürzt die Lippen, täuscht scharfes Nachdenken vor und antwortet schließlich: »Vielleicht haben Sie da etwas missverstanden.«
Mrs. Taylor hob bloß ihre Augenbrauen. Deutlicher hat mir nie jemand meine geistige Unzulänglichkeit zu verstehen gegeben. Kurz danach bewunderte sie mit ihrem Mann pflichtbewusst eine Muttergottes mit Kind, gemalt »Circa 1350«. Es war kein besonders gut geratenes Gemälde, aber selbst in einer so begabten Künstlerfamilie gibt es leider schwarze Schafe.
Mein mangelndes Wissen in Bezug auf die Circa-Familie musste Mrs. Taylors Überzeugung, dass ich sie nicht verstehen könne, noch verstärkt haben, was sie durch eine noch deutlichere Aussprache ausglich. »Daarrio«, fragte sie mich ein bisschen später, »warum gibt es in Itaaalien sooo viele amerikaaanische Ressstaurants?«
Ich erklärte, dass in den letzten Jahren verschiedene Fastfood-Ketten in größeren Städten Filialen eröffnet hätten, allerdings weniger als in anderen Ländern. Ich wurde jedoch sofort von ihrem Mann unterbrochen. »Nein, Dario«, sagte er. »Meine Frau meint nicht McDonald’s, sondern die vielen Pizzerien überall. Ihr Italiener scheint unsere Pizza außerordentlich zu schätzen.«
Einen Augenblick lang war ich ehrlich verblüfft. Dann versuchte ich, ihnen zu erklären, dass die Pizza nicht ihnen »gehöre«, sondern eines der ältesten italienischen Gerichte sei. An ihren völlig unbeteiligten Gesichtern konnte ich jedoch ablesen, dass sie meinen Ausführungen überhaupt nicht folgten. Ich stellte mir die beiden vor, wie sie nach ihrer Rückkehr in die USA eine heiße Pizza Margarita oder eine würzige Pizza Napoli aßen und sich dabei zwischen zwei Bissen an den nervtötenden italienischen Fremdenführer erinnerten, der sie um ihr kulinarisches Erbe hatte bringen wollen.
Nicht nur was die Staatszugehörigkeit der Pizza anbelangt, gab es für die Taylors keine Zweifel. Sie hatten unumstößliche Meinungen über die Welt, die nicht ins Wanken zu bringen waren. Kein nur halbwegs vernünftiger Mensch wäre aufgetakelt wie Mrs. Taylor auf die Straße gegangen oder hätte sie so stolz begleitet, wie Mr. Taylor das tat. Es musste sich um eine echte, gemeinsame Psychose handeln. Aber wie immer, wenn man gemeinsam an einer Sache trägt, wird sie paradoxerweise zu einer Stärke.
Am Abend brachte ich die Taylors in ihr Hotel zurück. Obwohl ich den ganzen Tag Englisch gesprochen und dabei mehr als sonst auf eine gewählte und elegante Ausdrucksweise geachtet hatte, verabschiedete sich Mrs. Taylor gaaanz laaangsam von mir und bewegte ihre Lippen beim Sprechen, als sei ich taub. Sie legte die rechte Hand kurz auf ihren Busen, nahm sie wieder weg und beschrieb mit dem Zeigefinger einen Kreis zwischen uns, woraus ich ableitete, dass sie beabsichtigte, eines Tages zurückzukehren. Während sie schon in ihr Zimmer hinaufging, blieb Mr. Taylor noch zurück, um mir ein paar weitere Fragen zu stellen. Er erklärte mir, dass sie ursprünglich beabsichtigt hätten, eine Kunststadt namens »Florence« zu besuchen. Aber selbst auf sehr genauen Landkarten sei diese Stadt nicht verzeichnet, und deshalb seien sie schließlich nach Siena gefahren. Von hier aus wollten sie nach Firenze weiterreisen. »Wir haben Vorteilhaftes über diese Stadt gehört und dachten deshalb, dieser Besuch könnte eine gute Alternative zu ›Florence‹ sein. Was meinen Sie dazu?«
Im ersten Augenblick wollte ich ihm erklären, dass eine Stadt kaum »eine Alternative« zu sich selbst sein konnte. Beim Betrachten seines sonnengebräunten Gesichtes und seiner für Erklärungen unzugänglichen Augen wurde mir jedoch klar, dass er mir dafür nicht dankbar sein und mir höchstwahrscheinlich gar nicht glauben würde. So
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