Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
den beiden Städten die Vorbereitungen für den Wettkampf. Die schnellsten Pferde und die tüchtigsten Reiter wurden ausgewählt. Während die Sienesen die Regeln einhielten, fanden die Florentiner wie üblich einen Weg zu mogeln. Am Abend vor dem Wettkampf gaben sie ihrem Hahn nichts zu fressen. In der Nacht musste dann jemand mit einer großen Kerze vor dem Hühnerhaus auf und ab gehen. Als der hungrige Hahn das Kerzenlicht sah, dachte er, die Morgendämmerung sei angebrochen. Auf eine baldige Fütterung hoffend, begann er aus vollem Hals zu krähen, worauf der Reiter der Florentiner auf sein Pferd sprang und davongaloppierte.
Die von Siena nach Florenz gesandten Beobachter, deren Aufgabe es war zu überwachen, dass dort alles rechtmäßig zuging, konnten trotz dieser Unverschämtheit nicht bestreiten, dass die Regeln getreu des Vertrages befolgt worden waren. Der Reiter aus Florenz kam so rechtmäßig zu einem Vorsprung von mehreren Stunden gegenüber dem bedauernswerten Konkurrenten aus Siena, der, kaum war er zur Stadt hinausgeritten, schon auf seinen Gegner stieß.
Belege für den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte gibt es keine. Es ist wohl möglich, dass sie erfunden ist. Aber merkwürdigerweise entspricht der Punkt, an dem die beiden Reiter hätten zusammentreffen können, einer alten Grenze zwischen den beiden Städten. Und obwohl die heutige Grenze zwischen Siena und Florenz von beiden Städten gleich weit entfernt ist, sind im Dialekt und in den Traditionen der Bewohner des nördlicheren Chianti-Gebietes, das Florenz am nächsten liegt, noch heute florentinische Einflüsse feststellbar. Fairerweise muss ich zugeben, dass die Geschichte, so wie ich sie eben erzählt habe, die sienische Version ist. Die Florentiner bestreiten sie und beteuern, dass der ganze Wettstreit korrekt ausgetragen worden sei. Dennoch glaube ich weiterhin an die sienische Version. Schließlich kann kein Fiorentino einen Sienesen besiegen, ohne zu schummeln!
1924 erwählten die Produzenten des Chianti-Classico-Weins, die sich in einem Konsortium zusammengeschlossen hatten, den schwarzen Hahn – Black Rooster, wie die Amerikaner sagen – im Gedenken an ihre ehrlichen Vorfahren zu ihrem Symbol. Dieser schwarze Hahn prangt stolz auf dem Hals jeder heute erzeugten Flasche, als Hinweis auf die in unseren Hügeln produzierte Qualität.
Es war also ganz klar, dass der schwarze Hahn – Symbol des Chianti, seiner Geschichte und seines Weines – in mein Firmenzeichen gehörte. Weil ich aber auch in anderen Teilen der Toskana tätig sein wollte, fügte ich eine Zypresse bei, die als Symbol für die ganze Region gilt und praktisch in jedem Gemälde, auf jeder Fotografie und jeder Ansichtskarte zu finden ist.
Nachdem ich mein Firmenzeichen entworfen hatte, kam der englische Name ganz automatisch: »Rooster Tours«. Nun blieb noch die Wahl einer einladenden Fotografie der Chianti-Hügel und das Aufsetzen von ein paar Texten. Dann wurde das Ganze auf schwarzes Papier gedruckt – ecco -, schon hatte ich meine Werbebroschüre.
Weil ich das Gebiet nicht mit ganzen Horden von Touristen überrennen wollte, beschloss ich, meine Gruppen auf höchstens fünf Personen zu beschränken. Mit meinem wenigen ersparten Geld kaufte ich einen kleinen gebrauchten Minibus mit Vierrad-Antrieb – ein merkwürdiges eiförmiges Vehikel, in dem fünf Personen bequem Platz fanden und das sich für Fahrten auf holprigen, staubigen Straßen besonders gut eignete.
Nun kam das Schwierigste: Kunden zu finden. Kontakte zu ausländischen Reisebüros hatte ich keine, und so dachte ich, es sei eine gute Idee, meine Dienste in allen Hotels der Gegend bekannt zu machen.
Wegen meines jugendlichen Alters und meines abenteuerlichen Aussehens fürchtete ich, dass mich in den eleganteren Hotels niemand ernst nehmen würde. Also ließ ich mir die Haare schneiden, entledigte mich meiner Ohrringe und kaufte bei Armani einen Anzug und eine Aktentasche für meine Broschüren. In diesem Aufzug klapperte ich sämtliche größeren Hotels in Siena und Florenz ab. Ich war sehr schüchtern. Jedes Mal, wenn ich mich einem Hotelportier vorstellte, errötete ich und begann zu stammeln. Häufig hatte ich den Eindruck, dass die Leute, mit denen ich sprach, überhaupt nicht verstanden, was ich anbieten wollte. Ein paar wollten mich von meinem Vorhaben abbringen, weil sie meinten, das könne nie auf Interesse stoßen. Andere unterbrachen mich sofort und sagten: »Wenn jemand nach so etwas
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