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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
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Dezembernachmittag spazierte ich durch Sienas belebte Straßen, die alle schon für die kommenden Feiertage geschmückt waren. Zufrieden mit meiner vergangenen Saison, freute ich mich auf ein paar geruhsame Wochen. Ich kam an einer eher ungepflegt aussehenden Weinschenke vorbei, und weil es ungefähr die richtige Zeit war und mein Magen mir ein paar dringende Meldungen durchgab, beschloss ich, hier eine Pause einzulegen und etwas zu essen und ein gutes, kräftigendes Glas Rotwein zu trinken. Beim Betreten der kleinen Bar bemerkte ich an einem Tischchen sofort eine Gruppe von Gästen mit ihren Weingläsern. Wild gestikulierend besprachen sie sehr überzeugt ihre sicheren Lösungen für die dringlicheren Probleme unseres Planeten. Es waren typische Kneipengänger, wie man sie täglich und jederzeit in den Bars antrifft. Verstrickt in hitzige Debatten, schreien sie sich ihre Meinungen gegenseitig in das von purpurroten Äderchen durchzogene Gesicht mit der granatroten Nase.
    Ich bestellte einen Teller Sardellen an Pestosauce, etwas Rohschinken und einen Viertelliter vom besseren Hauswein. Während der dionysische Trank langsam in meinen Magen sickerte und sich das wohlige Gefühl von Wärme und Zufriedenheit einstellte, betrat ein junges Mädchen die Kneipe. Nach ihrer Kleidung zu schließen, war sie Ausländerin. Sie war nicht besonders groß, aber sehr attraktiv, mit einer lustigen kastanienbraunen Ponyfrisur und schönen haselnussbraunen Augen.
    Junge, hübsche Mädchen betreten solche Kneipen nur selten. Ihre Anwesenheit brachte deshalb sofort Bewegung in die Gruppe der Trinker, die ein paar Bemerkungen machten, welche ich lieber nicht wiedergeben möchte. Leicht eingeschüchtert, bestellte das Mädchen etwas zu trinken und fragte mich in holperigem Italienisch höflich, ob sie sich zu mir setzen dürfe, weil alle anderen Tische besetzt seien. Ich sagte selbstverständlich Ja und versuchte, die Situation ein wenig aufzulockern mit der banalsten Frage, die mir einfiel: »Wie heißt du?«
    »Carter«, antwortete sie im angenehmen Singsang der Amerikaner aus den Südstaaten. Ich lächelte über die merkwürdige Tatsache, dass ein junges Mädchen den Namen eines amerikanischen Präsidenten trug, und stellte mir die bissigen Bemerkungen meiner Verwandten vor, wenn ich eine künftige Tochter Scalfaro oder Ciampi oder, schlimmer noch, Berlusconi nennen würde!
    Nach drei Gläsern Wein war die Schüchternheit verschwunden. Weil Carter jemand gefunden hatte, mit dem sie sich auf Englisch unterhalten konnte, erzählte sie mir einen großen Teil ihrer Geschichte. Sie studierte in Siena, würde aber für die bevorstehenden Weihnachtsferien nach Amerika zurückkehren. Sie war eine angenehme und humorvolle Gesprächspartnerin. Ab und zu brach sie in lautes Gelächter aus, und alle Leute in der Bar drehten sich nach ihr um. Bei einem Glas nach dem anderen verstrich die Zeit schnell. Bald waren wir leicht beschwipst, weshalb wir beschlossen, frische Luft zu schnappen und einen Spaziergang durch das Stadtzentrum zu machen.
    Die Straßen waren leer. Ohne es zu merken, waren wir sehr lange in der Bar geblieben, und wir empfanden es als einen ziemlichen Schock, als der eiskalte Wind in unsere erhitzten Gesichter blies. Die Luft war kühl, der Himmel kristallklar und voller Sterne, aber die beträchtliche Menge Wein, die wir getrunken hatten, machte die Kälte erträglich.
    Hand in Hand stiegen wir die Treppe zum Campoplatz hinunter. Der Platz war ausgestorben, abgesehen von einem einsamen Gitarrenspieler, der ein paar klassische sienesische Volksweisen spielte. Ohne ein Wort zu sagen, gingen wir auf den Mangiaturm zu, wo uns eine nicht zu zügelnde Leidenschaft packte. Im Mondschein küssten wir uns viele Male zärtlich.
    Wir schlenderten noch ungefähr eine Stunde durch die Straßen der Stadt. Dann drehte Carter sich um und gab mir einen letzten Kuss. Als ich meine Augen öffnete, war sie schon fort. Ich war verdutzt und blieb wie angewurzelt stehen. Hatte ich etwas falsch gemacht? Als sie etwa hundert Meter von mir entfernt war, drehte sie sich um, gerade lange genug, um mir zuzurufen: »Danke, Dario, aber ich muss gehen!«, und dann lief sie weiter. Es dauerte mehrere Augenblicke, bis ich realisierte, dass sie sich tatsächlich aus dem Staub gemacht hatte, und ich war vollkommen durcheinander wegen dieses merkwürdigen Verhaltens. Ich wusste nicht einmal, wo ich sie hätte suchen können. Ich wusste nur, dass sie in Vermont

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