Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
heißt er, Alan Easton. Er hat gelächelt und sogar gelacht. Das hat seit sechzehn Tagen keiner mehr gemacht – als sei es verboten, vor einer gramgebeugten Mutter und Ehefrau zu lachen.
Ich denke, Du hättest ihn gemocht. Weißt Du warum? Weil ich tatsächlich lächeln musste, nachdem sein Lachen die schreckliche Stille zerrissen hatte, die sich über unser Haus gesenkt hatte. Und weil ich drauflosgeplaudert habe. Er saß an Deinem Klavier, und mein Herz zog sich zusammen, bis ich dachte, ich könnte den Schmerz nicht länger ertragen, doch dann hat er Dein letztes Stück gespielt.
Du erinnerst Dich: »Deine Augen sind wie der Himmel in der Nacht, dein Kuss gibt neues Leben«. Diesen Song.
Alan hat versucht, ihn zu singen, und ob Du es nun glaubst oder nicht, er klang noch schlimmer als Du! Ich konnte mir nicht helfen. Das Lachen war nicht aufzuhalten, es ist unaufhaltsam aufgestiegen wie Kohlensäure in einer zu stark geschüttelten Bierflasche und einfach so aus mir hervorgebrochen.
Ich habe gelacht, bis mir die Tränen über die Wangen liefen. Und als ich erst einmal angefangen hatte, zu weinen – weißt Du noch, wie ich zu Beginn der Schwangerschaft war? Ungefähr so, nur noch schlimmer.
Alan bekam jedoch nicht diesen entsetzten Gesichtsausdruck wie die anderen, wenn sie mit mir zusammen sind. Er ist geblieben und hat meine Hand gehalten, während ich mir die Seele aus dem Leib geweint habe. Mit meinen Tränen hätte man die Sahara fluten können. Dann ist er gegangen, hat aber versprochen, sich den Fall genauer anzuschauen und morgen wiederzukommen.
Ich saß allein im Wohnzimmer, zum ersten Mal seit sechzehn Tagen hatte ich das Haus ganz für mich allein. Es fühlte sich überfüllt und leer zugleich an. Jetzt weiß ich, was mit dem Ausdruck Totenstille gemeint ist.
Unser Heim, immer von Lärm und Liebe erfüllt. Deine Musik, Dein fürchterliches Gejaule, sobald Dich die Muse geküsst hatte – Du bist wirklich der einzige Liedermacher, von dem ich jemals gehört habe, der keinen Ton trifft. Das Getrappel von Joshs kleinen Füßen, der scheppernde Trockner, Joshs Lachen, Dein Lachen, nichts davon war mehr zu hören.
Nur das Quaken der Frösche draußen und die ächzenden Geräusche eines alten, leeren Hauses.
Eine Weile saß ich so da und wusste nicht recht, wie mir war. Aber ich fühlte etwas.
Ich habe sogar das Hühnchen probiert, das die Frau des Colonels mir gestern Abend gebracht hat. Zum ersten Mal seit Wochen konnte ich sogar den Geschmack des Essens wahrnehmen.
Dann habe ich erst geduscht und anschließend ausgiebig heiß gebadet. Jetzt ist es noch nicht einmal siebzehn Uhr, aber ich bin schon entsetzlich müde. Ich habe mir eines Deiner T-Shirts geborgt, um darin zu schlafen. Eines aus der Schmutzwäsche, damit ich Dich riechen und wenigstens so heute Nacht bei Dir sein kann. Ich musste die Kleider aus Deinem Wäschekorb und dem von Josh unter meinem Bett verstecken, bevor die Frau des Colonels gewaschen und Euch für immer fortgespült hätte.
Ich werde jetzt schlafen gehen, aber ich lasse das Fenster offen und das Licht an für Dich. Sobald mir Damian Wright verrät, wo ich Euch finden kann, werden wir wieder vereint sein. Das verspreche ich.
Gib Josh einen Gutenachtkuss von mir. Gute Nacht, Ihr meine Lieben …
7
Sarah feilte an ihrem Angriffsplan, mit mehr Sorgfalt als ein General, der sich einem überlegenen Gegner gegenübersieht. Sie würde einfach alles geben, das hatte sie sich geschworen, würde den ganzen Sommer der Suche nach Sam und Josh widmen, wenn es nötig sein sollte.
Dann … sie hielt inne, während ihre Finger über die frisch kopierten Satellitenkarten vom Snakehead Mountain glitten. Wenn sie die beiden erst gefunden hatte, war sie vielleicht endlich in der Lage, sich zu verabschieden.
Sams Arbeitszimmer war ihre Kommandozentrale. Das helle, freundliche Arbeitszimmer lag an der Hausrückseite, und um ganz ehrlich zu sein hatte Sam hier mehr Musik komponiert als Versicherungspolicen ausgestellt. Sarah hatte ihre Geländekarten und Satellitenbilder über die Poster seiner Idole geheftet: John Lee Hooker, Stevie Ray Vaughn, Bob Dylan, Eric Clapton. Sie hatte nie ganz verstanden, warum er ausgerechnet nach Hopewell gekommen war, um sich als Versicherungsvertreter selbstständig zu machen; über sein Leben vor dem Umzug hierher hatte er nie gesprochen, ihr nur erzählt, dass er keine Familie mehr habe und ihn deshalb nichts mehr mit seinem Heimatort verbinden würde.
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