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Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Titel: Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Lyons
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Wenn er von seiner Vergangenheit sprach, erwähnte er nie irgendwelche Details und sah immer ein wenig traurig aus. Sie hatte gelernt, ihn nicht zu drängen, er würde es ihr schon sagen, wenn er so weit war, darüber zu sprechen.
    Ein Husten unterbrach ihre Gedanken. Als Sarah aufblickte, sah sie Hal, der mit einem kleinen Funkgerät in der Hand im Flur stand. »Ich habe geklopft –«
    »Tut mir leid, der Kopierer war so laut. Danke fürs Vorbeibringen.«
    »Kein Problem.« Er stellte sich zu ihr an den großen Zeichentisch, den Sam als Schreibtisch genutzt hatte und beugte sich über die topografische Karte, die sie darauf ausgebreitet hatte. Sarah hatte all diejenigen Stellen neonorange gekennzeichnet, an denen Blutspuren von Sam gefunden worden waren, sowie alle Bereiche, die vor zwei Jahren abgesucht worden waren. Außerdem hatte sie den Ort markiert, an dem Joshs Plüschtiger gefunden worden war. Hal pfiff leise durch die Zähne. »Da hast du dir ja ganz schön was vorgenommen. Und die Mühe könnte ganz vergeblich sein. Diese Berge geben ihre Geheimnisse nicht so leicht preis.«
    Sie stand neben ihm, starrte auf das riesige Gebiet, das auf der Karte abgebildet war, und ballte immer wieder die Hand zur Faust. »Ich weiß.«
    »Ich will nur nicht, dass du dir zu viele Hoffnungen machst. Wieder einmal.« Schweigen. Sie wussten beide, wie Sarah den letzten Sommer verbracht hatte. In einem Motelzimer in Texas, während Alan vergeblich versucht hatte, ihr einen Besuchstermin bei Damian Wright zu verschaffen. Zwar hatte der Mann endlich zugegeben, Sam und Josh umgebracht zu haben, enthielt ihr aber immer noch vor, was sie dringend wissen musste. Dann, als sie wieder nach Hause gekommen war …
    Hal legte ihr eine Hand auf den Arm, er schien ihre Gedanken mühelos erraten zu haben. Und warum auch nicht? Schließlich verstand er besser als jeder andere, was sie durchmachte. Noch immer machte er sich Vorwürfe, dass er in jener Nacht nicht da gewesen war, als sich seine Frau umgebracht hatte. Er neigte den Kopf zur Seite und schaute ihr in die Augen. »Weißt du auch sicher, was du da tust, Sarah? Manchmal ist es besser, die Dinge auf sich beruhen zu lassen.«
    »Ich muss einfach da raus, Hal.« Sie rang sich ein Lächeln ab und tätschelte ihm beruhigend die Hand. »Keine Sorge, ich mache keine Dummheiten. Das habe ich hinter mir.«
    »Manches lässt man niemals hinter sich«, sagte er halblaut, und sein Blick glitt zu der einzigen Ecke von Sams Tisch, in der keine Bilder von ihr und Josh standen. »Mit einigen Dingen muss man einfach leben.« Er hielt inne. »Du musst einen Grund zum Weitermachen finden, Sarah. Irgendetwas, irgendjemanden, für den du leben willst.«
    Sie waren gleich alt, zusammen aufgewachsen, jahrzehntelang beste Freunde gewesen, doch mit einem Mal kam er Sarah ungleich älter und weiser vor. Als ob ihm der Verlust von Lily eine Wahrheit enthüllt hätte, die ihr immer noch verborgen blieb. Sie trat einen Schritt zurück, wandte sich ab, um die Kopien der Vergrößerungen zusammenzusammeln. In letzter Zeit bekam der alte Kopierer von Sam richtig was zu tun.
    Hal nahm ihr das oberste Blatt ab. »Dort willst du suchen?« Er fuhr mit dem Finger an der Kammlinie zwischen Berggipfel und den Upper Falls entlang. »Unwegsames Gelände – besonders nach dem ständigen Hin und Her von Frost und Tauwetter dieses Frühjahr. Am Osthang in der Nähe vom Snakebelly und beim Devil’s Elbow hat es einige Gesteinslawinen gegeben.«
    Am sogenannten »Ellbogen des Teufels« nahm der Fluss eine scharfe Neunzig-Grad-Kurve und fiel dann als Upper Falls steil herab. Die Bergwand war an dieser Stelle von tiefen Spalten durchzogen, von denen eine Snakebelly, also Schlangenbauch genannt wurde: Die Strömung erfasste jedes größere Treibgut und trieb es auf die tiefe Kluft zu, die so zu einer Art Friedhof im Fluss wurde. Meist gab erst ein Bergrutsch oder eine Lawine wieder frei, was unter den Gesteinsbrocken verborgen lag.
    »Ich komme schon klar. Bin schließlich mein Leben lang dort herumgeklettert.«
    Hal nickte, den Blick immer noch auf die Karte gerichtet. Mit einem Finger fuhr er die Höhenlinien entlang, und das Licht fiel auf die blasse Stelle an seiner Hand, wo er früher den Ehering getragen hatte. »Vielleicht solltest du nicht alleine gehen.«
    Wann hatte er den Ring eigentlich abgenommen? Sie drehte ihren eigenen Ring am Finger. Lily war kurz vor Sam gestorben. Wenn Hal bereit war, nach vorn zu schauen,

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