Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
natürlich nicht nachweisen, dass er es war, der das Kissen falsch zurechtgeknickt oder die Fernbedienung wieder unter die Zeitschriften geschoben hatte. Aber ich war mir ziemlich sicher.
Ich war in Zimmer 570, als Valentina angerannt kam.
»Du musst kommen, in die 627, schnell!« Ich versuchte, nicht von der Kofferbank zu kippen, auf die ich mit meinem engen Rock geklettert war – es ging nur, indem man den Rock bis zum Hintern hochschob. Ich betete dabei, dass mich nie ein Gast so antreffen würde.
Elbracht stand in der 627, einem Zimmer, das ich erst vor einer halben Stunde gecheckt hatte. Es war tadellos sauber, dieses Zimmer, als ich es verlassen hatte.
Jetzt aber beugte sich Elbracht im Badezimmer mit seinem schon bekannten Insektenforscherblick über das Waschbecken, als habe er gerade eine neue Marienkäferart entdeckt. Aber er schaute nicht nach einem Tier (ein totes Tier wäre in der Tat ein Problem für mich gewesen, auch wenn ich natürlich immer noch hätte sagen können, dass es erst vor wenigen Minuten hier verendet sein musste). Er beugte sich über ein dunkelbraunes, ziemlich lockiges Haar, das im Waschbecken lag. Elbracht wies mit verächtlich bebender Unterlippe auf das Innere des Beckens. Ich hatte das Haar natürlich sofort gesehen, auch ohne dass ich mich so übertrieben hinabbeugte wie er.
Es lag also ein Haar im Waschbecken von Zimmer 627. Sollte man nicht sofort die Polizei rufen, dachte ich, und die ganze Etage sperren lassen, am besten vielleicht sogar Berlin evakuieren? Natürlich: Ein übersehenes Haar im Waschbecken ist neben einer ungeputzten Toilette das Allerschlimmste, was einem Zimmermädchen passieren kann. Kein Gast soll Spuren des Vorgängers finden, schon gar nicht im Badezimmer, wo die glänzenden Oberflächen Hygiene und Sauberkeit suggerieren sollen. Und weil alle
immer besonders kritisch nach Wanne und Waschbecken gucken, übersehen Zimmermädchen auch keine Haare im Waschbecken, auch nicht, wenn sie blond und dünn und nur fünf Millimeter lang sind. Aber dieses Haar war braun, gelockt und mindestens sechs Zentimeter lang. Ein solches Haar in einem schneeweißen Porzellanwaschbecken zu übersehen war so schwierig wie als Insektenforscher eine Hornisse zu übersehen.
Ein Haar im Waschbecken zu hinterlassen ist ungefähr genauso unsinnig wie sich als Mörder hinterm Vorhang zu verstecken, wenn die Polizei kommt. Elbracht guckte tatsächlich ein bisschen wie einer dieser Kriminalkommissare im Fernsehen, der eine halb verweste Leiche entdeckt hat. Finster und, trotz aller Routine, angewidert.
Wenn es nicht so traurig gewesen und mir nicht vor Schreck der Schweiß den Rücken hinabgelaufen wäre, ich hätte lachen müssen. Dass dieses Haar vor einer halben Stunde noch nicht hier gelegen hat, ich hätte dafür mein heiliges Zimmermädchen-Ehrenwort gegeben. Sowohl er als auch ich wusste, dass es ausgeschlossen war, dass ich so blind und unordentlich meine Arbeit machte. Aber ich wusste auch: Das Ganze konnte meinen Rauswurf zur Folge haben, vor allem dann, wenn ich lachte.
Zu meinem eigenen Verdruss hörte ich mich stattdessen stotternd sagen: »Also, das kann nicht sein, das Haar, das kann gar nicht, ich meine, ich weiß es ganz genau, dass das eben … Also, ich hätte …«
Je länger ich stotterte, umso mehr näherte sich meine gefühlte Größe der einer Stubenfliege. Elbracht genoss diesen Moment. Ich glaube, ich habe ihn in der ganzen
Zeit im Hotel nie glücklicher und zufriedener gesehen als eben jetzt. Er verschränkte die Arme, seine Augen glänzten, und es hätte mich nicht gewundert, wenn er als Nächstes eine Lupe, oder besser: ein Mikroskop, aus seiner Tasche gezogen hätte, um sich über mich zu beugen.
Es war klar, woher dieses Haar stammte. Es hatte die richtige Länge, die richtige Dicke und die richtige Farbe. Es musste ein Haar von ihm selbst gewesen sein.
Schmierlappen Elbracht begnügte sich nicht damit, seinen Sieg still zu genießen. Als er merkte, dass von mir kein Widerstand kam, holte er tief Luft, blies sich förmlich auf und teilte mir mit, dass dies das Allerletzte sei. Und dass ihm dergleichen noch nie untergekommen sei. Das sagte er in ungefähr siebzehn verschiedenen Formulierungen. Zweimal dachte ich, er sei endlich fertig, aber dann begann er doch wieder von vorne.
Zum Abschluss des Schauspiels musste ich einen Lappen holen und das Haar, dieses schreckliche Ding, vor seinen Augen wegwischen. Am liebsten hätte ich es ihm wieder in
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