Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
ohne dass jemand vom Haus dabei war. Safe-Öffnen in Begleitung: wunderbar. Safe-Öffnen ohne Begleitung: nur wunderbar, wenn der Safe leer ist. Fast immer ist das auch so, sonst würde keine von uns – so wie ich es auch schon oft gemacht hatte – den Safe-Öffner nehmen, ohne abzuwarten, bis sich ein Kollege vom Royal erbarmt, mit
hoch ins Zimmer zu kommen. Den Rezeptionisten war es nur recht. Aber sie taten dann immer so, als hätten sie nicht gesehen, dass wir uns den Öffner aus der Schublade nahmen. Es fiel ihnen ja auch nicht schwer, uns nicht zu sehen.
Wenn wir ein Team gewesen wären, hätte man jetzt einen der Kollegen aus dem Haus rufen können, man hätte sagen können: großes Problem, Vermögen gefunden, kann einer kommen, dann öffnen wir noch mal gemeinsam und geben alles schön sortiert bei Frau Schmalberg ab. Aber wir waren ja kein Team. Wir holten niemanden dazu. Man hätte uns nicht getraut, es hätte Geschrei gegeben. Im schlimmsten Fall hätte sich einer von den anderen etwas von dem Geld abgezweigt und den Diebstahl, wenn er dann offenkundig geworden wäre, uns angelastet, weil wir den Safe ja alleine geöffnet hatten.
Nadine und Valentina redeten noch immer wild durcheinander. Oh nein, das kostet uns den Job! Was machen wir nur? Wir müssen den Safe wieder zumachen! Wie viel ist das bloß? Am liebsten hätte ich auch mitgeschrien und gewartet, bis jemand an der Tür klopft und fragt, was denn hier los sei.
»Wir bringen das Geld weg«, entschied ich schließlich. Die beiden starrten mich an, als hätte ich gesagt: »Los, wir brennen damit durch nach San Francisco. Valentina packt die Koffer. Nadine kauft die Tickets.«
Ich dachte an die zahllosen Fernsehkrimis, die ich gesehen hatte: Jemand findet eine Leiche, und obwohl er nicht der Täter ist, lässt er sie verschwinden und das Unheil nimmt seinen Lauf.
Ob ich an Diebstahl gedacht habe? Ganz ehrlich? Keine Sekunde. Ich wusste, dass die Gäste das Zimmer verlassen hatten, und wer weiß, wo sie inzwischen waren und was sie dazu bewogen hatte, so viel Geld mit sich herumzutragen. Dass sie es hier vergessen hatten, sprach in jedem Fall dafür, dass sie nicht eben knapp bei Kasse waren. Mir einfach ein paar Scheine davon in die Tasche zu stecken, kam mir dennoch nicht in den Sinn. Wenn ich bei Kaisers einen Zehner zu viel heraus bekam, sagte ich es der Kassiererin ja auch.
Ich drückte Valentina einen Müllbeutel in die Hand und sagte: »Pack alles da rein«, so wie es Bankräuber den Angestellten hinter dem Tresen befehlen, über den Lauf ihrer Knarre hinweg.
Während Valentina die Scheine zusammenraffte, überlegten Nadine und ich, wie es jetzt weitergehen würde. Wir mussten das Geld in unsere Wäschekammer bringen, es zählen. Und dann Meldung machen.
Der Müllsack mit Geld trug nicht eben dazu bei, dass sich Valentina beruhigte, und so schickte ich sie wieder zum Zimmerputzen. Sie schaute mich erleichtert an, wie die überraschend frei gelassene Geisel eines Bankräubers.
Nadine verschloss die Tür unserer Kammer, und wir begannen im Schein der winzigen Schreibtischlampe zu zählen. Immer zehn Scheine bildeten einen kleinen Stapel. Wir waren sehr konzentriert, sprachen kaum ein Wort. Vielleicht ging Nadine Ähnliches durch den Kopf wie mir: Wie unglaublich es doch war, dass jemand so viel Geld so einfach in seinem Zimmer vergisst.
Jeder Schein, den wir in der Hand hatten, war mehr als wir jemals für eine Handtasche, eine Jeans oder eine Hotelübernachtung ausgegeben hatten. Für jeden einzelnen Schein musste Valentina fast hundert Zimmer putzen.
»Weißt du, wer die Gäste waren?« Da der Fund nicht auf meiner Etage passiert war, kannte ich auch die Leute aus Zimmer 804 nicht.
»Das waren zwei ganz junge Russen, ein Pärchen«, sagte Nadine. »Die sind heute früh aus dem Zimmer.«
»Was die wohl mit dem Geld vorhatten?«
Ich konnte es mir ungefähr denken. »Shoppen, meine Liebe. Das war ihr Taschengeld für heute.«
Nadine machte große Augen und wirkte plötzlich mutlos. Das viele Geld befremdete uns, es war so sinnlos, dass es einfach da vergessen herumlag und offenbar nicht vermisst wurde.
Eigentlich, dachte ich, haben sie es nicht verdient, dass wir uns so viel Mühe machen. Ich wollte es immer noch nicht stehlen, aber ich fand es ungerecht, dass wir hier saßen und uns fühlten wie Bankräuber, nur weil die beiden Gäste es nicht schafften, auf ihre Barschaft aufzupassen.
Am Ende zählten wir zwanzig Stapel.
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