Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
wohlhabende, zumeist westdeutsche Rentner von der Sorte, für die die Tourismusindustrie eigens Begriffe wie »Best Ager« oder »Silver Ager« erfunden hat. Wir hätten ihre Enkelinnen sein können, und sie bekamen jeden Tag mit, wie viel und wie lange Eva und ich arbeiteten. Ein Ehepaar schenkte uns gleich in der ersten Woche eine Flasche Rotwein. Manche steckten uns nicht unerhebliche Trinkgelder zu, mal einen Fünf-Euro-Schein, einen Zehner oder sogar noch mehr. Manche, die mochten wir besonders, achteten sogar darauf, dass Helga es nicht bemerkte.
Erstaunlicherweise hielten sich die Annäherungsversuche der älteren Herren sehr in Grenzen, sogar dann, wenn sie ohne Ehefrau unterwegs waren. Entweder weil der Drang, jungen Frauen nachzustellen, jenseits der fünfundsiebzig doch langsam erlahmt, oder, und das ist wohl wahrscheinlicher, weil das Schiff nicht genügend uneinsehbare Ecken bot, um mit Eva oder mir unbemerkt zu flirten oder uns nach Altherrenart auf den Hintern zu hauen.
Die einzige Hand, die sich gelegentlich auf meinen Hintern verirrte, war die von Eva. Sie war wirklich sehr touchy: Po, Wange, Hand oder Arme, sie tätschelte alles.
In den ersten Tagen hatte ich Angst, sie könnte an Frauen interessiert sein, was den Aufenthalt in unserer Kajüte sicher nicht einfacher gemacht hätte. Aber ziemlich schnell konnte ich beobachten, dass sie nicht nur mich, sondern so gut wie alle an Bord hin und wieder betätschelte: die Omis (denen das sichtbar gut gefiel) und sogar manche Opis (denen das noch besser gefiel). Nur Helga wurde von Evas Liebkosungen konsequent ausgespart. Interessant war zu sehen, dass die älteren Herren sich nicht dafür revanchierten, indem sie Eva zurücktätschelten. Vielleicht, dachte ich, ist offensives Auf-die-Wange-Tätscheln ja auch eine gute Waffe, um sich Männer um die siebzig vom Hals zu halten. Wen man behandelt wie einen harmlosen Alten, der fühlt sich vielleicht tatsächlich wie ein solcher und nicht mehr wie ein knackiger Kerl, dem die Frauenwelt noch immer zu Füßen liegt.
Eva und ich waren im Wechsel für die Sauberkeit der Kajüten und der Wäsche zuständig. Zum Glück waren die Kajüten nicht groß – auch die Gäste mussten sich mit einem handtuchgroßen Raum begnügen, der aber mit dem großen Bullauge und der Nussholzverkleidung sehr gemütlich wirkte. Die Kunst bestand für uns darin, den Gegenständen der Gäste auszuweichen und zu putzen, ohne sie durcheinander zu bringen. In den Badezimmern standen hier häufig kleine 4711-Flaschen. Daran vergriff sich niemand.
Herr Krämer, der mit einem befreundeten Ehepaar für eine Woche gebucht hatte, führte eine Tube Rei mit sich, die er vom ersten Tag an neben dem Waschbecken positionierte.
Schon am zweiten Tag seiner Reise wusste ich, dass er sie auch benutzte. Es war ein Schlechtwettertag, die Gäste saßen drinnen im Restaurant, lasen oder tranken Kaffee.
Die Bullaugen in den unteren Kajüten ließen sich zwar öffnen, aber wir hatten den Gästen schon mehrfach eingeschärft, davon nur Gebrauch zu machen, wenn das Schiff im Hafen lag. Auch auf Flüssen konnten schließlich manchmal Wellen kommen. Leider hielten sich immer wieder Gäste nicht an unsere Bitte. Auch Herr Krämer hatte offenbar – eigentlich ja sehr in meinem Sinne – ein Herz für frische Luft. Denn als ich die Tür zu seinem Zimmer aufstoßen wollte, kam mir eine kräftige Windböe entgegen. Ich stemmte die Tür schließlich auf, schaffte es aber nicht mehr auszuweichen, als mir ein weißer Lappen entgegenflog. Ich bekam ihn mitten ins Gesicht. Es war eine Altherrenunterhose, aus dem Besitz von Herrn Krämer, mit Eingriff und Bein, klatschnass, also immerhin gewaschen.
Krämer hatte einen kleinen Waschsalon im Zimmer eröffnet und überall im Raum Unterwäsche zum Trocknen aufgehängt. Die Unterhose, die mich traf, hing offenbar direkt vor dem geöffneten Bullauge.
Wir fuhren noch immer durch die Camargue. Meine Nachmittagspause wollte ich eigentlich für eine kleine Erkundungstour an Land nutzen, wurde jedoch von einer älteren Dame auf dem Sonnendeck festgehalten. Die Frau reiste ohne Begleitung und tat mir ein bisschen leid, so ganz alleine, umgeben von Ehepaaren kurz vor der diamantenen Hochzeit, die nun geschlossen zum Spaziergang
an Land unterwegs waren. Hatte man sie dort oben vergessen?
Wir kamen ins Gespräch. Sie erzählte mir ihr ganzes Leben, oder zumindest fast. Seit zwanzig Jahren war sie Witwe. »Wissen Sie«, blinzelte
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