Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
sie mir zu, »eigentlich war der Tod meines Mannes auch eine Befreiung.« Nicht dass sie ihn nicht geliebt habe, sagte sie, aber wie ich erfuhr, war er ein dominanter Charakter, der ihr in jungen Jahren jede Entscheidung abnahm und sie in nicht mehr ganz so jungen Jahren, als er krank war, voll und ganz als Pflegerin beanspruchte. Glücklicherweise hatte dieser Mann, als er noch bei Kräften war, ordentlich Geld verdient und einen kleinen Pool im Garten anlegen lassen. Diesen Pool nutzte die Dame mit ihren neunundachtzig Jahren noch immer, zwischen Mai und September jeden Morgen vor dem Frühstück. Die anderen Monate, so erzählte sie, begab sie sich auf Reisen, meistens auf einem Schiff wie diesem.
Ich fragte sie, ob es ihr nichts ausmache, so alleine unter Paaren. »Ach die«, sagte sie nur und lächelte. »Alles nur eine Frage der Zeit, dann reisen die auch alleine.«
Ich glaube, ich habe mich noch nie so lange mit einem Gast unterhalten. Normalerweise bleibt der Gast ein mehr oder weniger unbekanntes Wesen, ein Objekt, aus dessen Hinterlassenschaften im zerwühlten Schlafzimmer man versuchen kann, etwas über seinen Charakter abzuleiten. Ein Objekt, das permanent zufriedengestellt werden muss. Mit einem Gast ein längeres Gespräch oder auch nur Small Talk zu führen, war nie vorgesehen. Stattdessen sammelt der Hotelcomputer die unglaublichsten
Daten, speichert, wer zum Mäkeln neigt, wer gerne ein hartes Bett hat und wer ein weiches, wer während seines Aufenthaltes wie oft die Tomatensuppe mit Croûtons gegessen hat, um sie bei der nächsten Buchung gleich am ersten Abend wieder zu empfehlen.
Bevor ich meinen Vorsatz, von nun an hin und wieder mit alten Damen auf dem Sonnendeck über ihre Verblichenen zu reden, in die Tat umsetzen konnte, kam mir Helga dazwischen, da ihr meine Mittagspause natürlich nicht entgangen war. Kaum war die alte Dame wieder nach unten gegangen, hörte ich Helga rufen. »Anna! Anna, kommst du mal bitte ins Büro?« Ich gehorchte, wenn auch ohne Eile. Ich wusste ja, was nun kommen würde.
»Ich wünsche es nicht, dass die Gäste denken, wir würden hier Sommerurlaub machen.« Sie kniff die Augen zusammen, als könne sie mich nicht mehr sehen. »Ich wünsche nicht, dass ihr die Gäste mit euren Geschichten belästigt.« Was meinte sie damit? Wenigstens hatte sie uns offenbar nicht belauscht. Sie klopfte mit der Rückseite des Kugelschreibers auf die Platte ihres Schreibtisches. »Ich wünsche nicht, dass ihr oben herumhängt, verstanden?«
Verstanden, jawoll! Obwohl: nein, gar nicht verstanden. Warum war es ihr so wichtig, dass wir nicht mit den Gästen plauderten? Wollte sie zeigen, dass nur die Chefin Zeit hat zum Small Talk? Oder dass sie ohnehin die viel interessantere Gesprächspartnerin war? Oder hatte sie Angst, dass wir den Alten unser Leid klagten? Ganz ehrlich: Auf so einen Gedanken wäre ich nie gekommen.
Zwei Wochen später, es war ein heißer Tag, so heiß,
dass mir der Schweiß schon morgens den Rücken hinunterlief, fragte ich Helga, ob ich nicht ausnahmsweise in Polo-Shirt und kurzer Hose arbeiten dürfe. Gnädig erlaubte sie mir, die Bluse und die lange Hose im Schrank zu lassen, musste das aber schon wenig später sehr bereut haben, denn sie schlich so lange um mich herum, bis sie endlich fand, was sie suchte: den Fehler, für den sie mich maßregeln konnte. Sie entdeckte das Piercing in meinem Bauchnabel, als ich mich reckte. Statt mich sofort zu sich zu zitieren, wartete sie diesmal ab, bis ich meine Arbeit erledigt hatte, und behauptete, während ich die Kaffeegedecke in die Küche trug, die Gäste hätten sich über mein Piercing beschwert. »Ja, sicher«, dachte ich. »Ich wette, die haben es nicht einmal gesehen. Und wenn, haben sich sicher die Männer beschwert, die sich ja traditionell immer über zu viel weibliche Haut beschweren.«
Ich schwieg auch diesmal. Aus Feigheit? Oder weil es mir einfach zu blöd war, auf so etwas zu antworten? Oder schlicht aus Gewohnheit? Hatten sich diese ganzen Hierarchien und Regeln schon so in mein Hirn eingebrannt?
Tatsächlich hatte sich diese Strategie vor allem im Royal als die beste erwiesen: Klappe halten, Ärger mit nach Hause nehmen und dort möglichst schnell vergessen. Aber auf dem Schiff gab es ja kein Nach-Hause-Gehen. Man war immer da, Tag und Nacht. Es war klar, dass sich bald etwas ändern würde. Ich musste endlich anfangen, mich zu wehren.
Rasch hatte ich Anlass, meine neue Strategie der Wehrhaftigkeit
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