Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
auch umzusetzen. Ich hatte es doch tatsächlich gewagt, im Gäste-Außenbereich eine zu rauchen, und
– schlimmer noch – war nicht sofort aufgesprungen, als die Gäste vom Kaffeetrinken dazu kamen. Tatsächlich war ich vor allem deswegen nicht aufgesprungen, weil ich wusste, wie die Gäste dann reagiert hätten: »Ach, musst doch nicht aufhören wegen uns, bleib doch noch, rauchen wir eine zusammen.« Aber das hätte ich mir nicht leisten können, ich wollte tatsächlich rasch weiterarbeiten.
Helga hatte kein Ohr für derart detaillierte Erklärungen. »Komm mal mit hier hoch.« Vor den Augen der Gäste folgte ich ihr aufs Sonnendeck. Sie stampfte entschlossen vor mir her bis zum äußersten Ende vom Deck und hielt sich mit einer Hand an der Reling fest, als habe sie Angst, das Gleichgewicht zu verlieren, so aufgebracht wie sie war. Schweiß lief ihr über die Schläfen. Wir fuhren gerade durch die Gegend von Arles und an uns vorüber zogen kleine Dörfer. Wir kreuzten Ausflugsboote und motorisierte Gummiboote, aus denen uns manchmal vergnügte Familienväter zuwinkten. Helga hatte gerade keinen Blick für die Umgebung. »Ich will dir jetzt mal was sagen, du unverschämtes Ding«, hob sie an, in einer Lautstärke, die beachtlich war. »Was glaubst du eigentlich, wo du hier bist?«
Automatisch wich ich einen Schritt zurück. Und dann geschah etwas Ungewöhnliches. Ich fühlte eine Wut in mir aufsteigen, die ich so nicht kannte. Meine Augen füllten sich mit Tränen – aber diesmal nicht mit Tränen der Verzweiflung. Mein Kopf verwandelte sich in einen knallroten Ballon und meine Stimme überschlug sich, aber es musste raus. Endlich musste das alles mal raus.
»Was fällt Ihnen eigentlich ein?«, schrie ich sie an.
»Sie kriegen doch mit, wie wir uns hier von morgens bis abends den Arsch aufreißen. Sie wissen doch, dass der Laden hier ohne mich und Eva nicht laufen würde, und trotzdem behandeln Sie uns wie den letzten Dreck. Dabei braucht Ihr verdammtes Schiff uns und nicht wir das scheiß Schiff.« Ich sagte wirklich »scheiß Schiff« und klammerte mich jetzt auch an die Reling. »Wenn Sie so weitermachen, dann bin ich ganz schnell weg, aber so was von ganz schnell. Meine Mutter und meine Freunde wollen sowieso schon längst, dass ich gehe, weil es hier einfach nicht mehr geht, weil Sie uns auspressen bis zum Letzten und dann auch noch glauben, uns bei jeder Kleinigkeit blöd anschnauzen zu können.« Ich konnte gar nicht mehr aufhören, ich schrie und tobte und kleine Spuckebläschen flogen durch die Luft.
Ich hätte gar nicht so lange schreien und weinen müssen, denn Helga war schon bei meinem ersten Wort erschrocken. Niemand hätte es ihr übel genommen, wenn sie jetzt kalt und hart meine sofortige Kündigung ausgesprochen und mich gebeten hätte, bei der nächsten Gelegenheit das Schiff zu verlassen. Zu meiner Überraschung reagierte sie fast verständnisvoll auf meinen Ausbruch. Als ich endlich schwieg, war mir, als hätte sie mich in den Arm nehmen wollen, um mich zu trösten. Aber danach stand mir nun wirklich nicht der Sinn. Ich meinte es ernst: Entweder es änderte sich etwas auf diesem Schiff oder ich war weg. Ich kniff die Lippen zusammen und sah ihr direkt in die Augen.
Von unten hörte ich ein leises Räuspern. Ich hatte offenbar Zuhörer. Was kein Wunder war, denn weniger als
drei Minuten zuvor hatten noch mindestens zehn Gäste mit ihrem Cappuccino im Wind gestanden. Geklatscht hat zwar niemand, aber ich bildete mir ein, dass mir die Gäste, die das Vergnügen hatten, Zeugen des bislang heftigsten Ausbruchs meiner beruflichen Laufbahn zu werden, beim Abendessen noch wohlwollender zunickten als ohnehin. Und das tat gut.
In der Mangel
Abends nach dem Essen war das Sonnendeck immer »unser Sonnendeck«, auch wenn es um diese Uhrzeit eigentlich Monddeck hätte heißen müssen. Wir hatten das Deck für uns, denn die Gäste gingen früh zu Bett. Sicher waren sie müde vom vielen Essen, anders als wir. Ich genoss die Ruhe dort oben. Eva und ich waren beide Stadtkinder, sie war in Sofia groß geworden, und wir hatten keine Ahnung, wie schwarz der nächtliche Himmel sein kann und wie hell die Sterne. Und wie viele Sterne es überhaupt gibt. Mir schien es, als seien in Südfrankreich dreimal mehr Sterne als in Berlin zu sehen. Wenn wir dort oben saßen, konnten wir uns tatsächlich manchmal einbilden, wir seien auf einer Kreuzfahrt unter Freundinnen.
Helga und Joachim duldeten unsere
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