Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Total Recall

Total Recall

Titel: Total Recall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Dürr (VS Mihr)
Vom Netzwerk:
auszuschalten, wenn sie aus dem Zimmer gingen oder einschlafen wollten. Was diesen Punkt betrifft, kämpfte ich auf ziemlich verlorenem Posten, weil die Kinder von Maria die Gewohnheit übernommen hatten, die Lampen brennen zu lassen. Als wir uns kennenlernten, schlief Maria nur ein, wenn das Licht an war. Sie fühlte sich sicherer. Aber wenn wir uns in Washington oder Hyannis Port aufhielten, kam es vor, dass ich spät abends nach Hause kam und die Haustür nicht abgeschlossen war und sämtliche Lampen brannten. Das habe ich nie begriffen, ich fand es immer absolut absurd. Die Ausrede am nächsten Tag lautete dann etwa: »Aber wir wussten doch, dass du spät nach Hause kommst, und wir möchten eben, dass du dich willkommen fühlst.« Aber selbst wenn ich zu Hause war und mitten in der Nacht nach unten ging, brannten oft die Lichter. Meinen Kindern erklärte ich, dass Energie knapp sei und dass die Wasserressourcen in unserem Staat nicht unbegrenzt seien. »Ihr müsst euch nicht Ewigkeiten unter die Dusche stellen. Fünf Minuten reichen vollkommen. Ab jetzt werde ich die Zeit stoppen. Und denkt daran, das Licht auszuschalten, wenn ihr aus einem Zimmer geht.«
    Bis zum heutigen Tag können meine Töchter nur einschlafen, wenn das Licht im Flur brennt. Irgendwann hatte ich es akzeptieren müssen. Die andere Sache – die Lampen in einem Zimmer brennen zu lassen, wenn man den Raum verlassen hat – hätte mein Vater mit einer Ohrfeige erledigt, aber wir schlagen unsere Kinder nicht. Wenn ein vernünftiges Gespräch nichts mehr nützt, besteht unsere Methode darin, bestimmte Privilegien zu streichen – dann dürfen eben Freunde mal nicht zum Spielen kommen oder nicht bei uns übernachten, oder die Kinder müssen zu Hause bleiben, oder sie dürfen das Auto nicht benutzen. Aber solche Strafen scheinen übertrieben, wenn es nur um das Ausschalten von Licht geht. Als einer unserer Jungen überhaupt nicht auf meine Ermahnungen reagierte, ging ich dazu über, jedes Mal, wenn er wieder das Licht angelassen hatte, eine Glühbirne in seinem Zimmer herauszuschrauben. Ich wies ihn darauf hin, dass sich nur zwölf Birnen in seinem Raum befänden, und wenn er so weitermachte, würde er bald im Dunkeln sitzen. Und das geschah dann auch. Irgendwann zeigte mein Kreuzzug doch Wirkung. Heute, wenn einmal alle zu Hause sind, muss ich höchstens ein- oder zweimal in der Woche für andere das Licht ausschalten.
    Zu den Freuden, die Kinder mit sich bringen, gehören auch die großen Festtage, vor allem, wenn man sie seit der eigenen Kindheit nur selten richtig gefeiert hat. Aber mit Kindern erhalten sie eine ganz andere Bedeutung, man nimmt sie jetzt aus einem anderen Blickwinkel wahr. Schon als Kind blieben mir die Weihnachtstage immer in besonderer Erinnerung: Wie meine Eltern die Kerzen am Baum anzündeten, unter dem die Spielsachen lagen, wie wir uns bei »Heil’ge Nacht« an den Händen hielten und wie mein Vater auf der Trompete spielte. Aber jetzt sah ich Weihnachten auch durch die Augen eines Vaters.
    Ich habe mich schon immer für einen Weihnachtsbaumexperten gehalten. Das liegt mir im Blut. Mein Vater und andere Männer aus dem Dorf marschierten drei Tage vor Weihnachten in den Wald und kamen dann mit den Weihnachtsbäumen zurück. Wir Kinder sollten davon nichts erfahren, weil der Baum ja offiziell vom Christkindl geliefert wurde. Einmal machte mein Bruder einen Fehler, er verkündete stolz: »Ich hab gerade Vater mit einer Axt weggehen sehen«, worauf mein Vater fuchsteufelswild wurde, weil meine Mutter uns nicht vom Fenster ferngehalten hatte. Aber normalerweise machte die ganze Sache ungeheuer viel Freude. Sie schmückten den Baum mit allen möglichen Süßigkeiten und kleinen Päckchen und sonstigem Schmuck, bis sich die Äste fast nach unten bogen, und unter dem Baum lagen die Geschenke, und der Baum war immer so groß, dass die Schmuckspitze die Decke berührte. Auf den äußeren Ästen wurden echte Kerzen angebracht, was allerdings bedeutete, dass man den Baum immer nur für relativ kurze Zeit mit brennenden Kerzen bewundern konnte. Am Heiligen Abend warteten wir im Nebenraum, und um sechs Uhr schaltete mein Vater das Radiogerät aus, sodass vollkommene Stille herrschte. Meine Mutter sagte dann immer: »Ihr müsst gut lauschen, ihr wisst ja: Das Christkindl kommt immer um sechs Uhr herum.« Und kurz darauf hörten wir im Wohnzimmer tatsächlich ein kleines Glöckchen bimmeln, das immer am Weihnachtsbaum hing.

Weitere Kostenlose Bücher