Total Recall
sein? Wie schafft man es, dass die Kinder nicht ins Rampenlicht gezerrt werden? Würde es sich als Vorteil oder als Nachteil erweisen, dass Maria aus einer demokratischen Familie stammte? Maria wusste über diese Sondierungen noch nicht Bescheid. Zwar konnte sie lesen, was über meine mögliche Kandidatur in den Zeitungen stand, und sie sah auch, dass ich mit der Idee liebäugelte. Sie nahm aber an, dass ich den rigiden Terminkalender eines Politikers nie akzeptieren würde, mit seinen zwanzig Terminen am Tag, und dem ganzen Verwaltungskram, mit dem man sich herumschlagen musste. Wahrscheinlich dachte sie: »Er liebt das gute Leben viel zu sehr. Sein Motto ist: Lustprinzip statt Frustprinzip.« Ich erzählte ihr daher nicht, dass ich ernsthaft über eine Kandidatur nachdachte, denn ich wollte zu Hause nicht endlose Diskussionen darüber führen müssen.
Bob White und seine Berater identifizierten die Plus- und Minuspunkte sofort. Mein größtes Plus war der Ronald-Reagan-Faktor. Reagan hatte bewiesen, dass der Entertainment-Aspekt parteiübergreifend funktioniert. Nicht nur kennen die Leute den Namen, sondern sie hören auch auf das, was man sagt, egal ob man aus dem demokratischen oder republikanischen Lager kommt oder als Unabhängiger antritt. Diesen Aspekt hatten Gouverneur Pat Brown und seine Berater total unterschätzt, als Reagan ihn 1966 aus dem Gouverneursamt vertrieb. Ich glaube, auch heute haben Politiker diesen Aspekt noch nicht richtig begriffen. Als mich George Gorton, Pete Wilsons Top-Stratege, in diesen Tagen zum Hollenbeck-Jugendzentrum begleitete, wo eine Veranstaltung des Programms zur Nachschulbetreuung von Schulkindern stattfand, zählte er völlig verblüfft neunzehn Fernsehteams, die nur darauf warteten, meinen Besuch für die Abendnachrichten aufzuzeichnen. Wenn sein Gouverneur sonst irgendwo auftrat, erschienen ein, zwei Fernsehsender.
Die erste Umfrage mit achthundert kalifornischen Wählern brachte genau das gemischte Bild, das zu erwarten gewesen war. Alle Befragten kannten meinen Namen und sechzig Prozent hatten ein positives Bild von mir. Das war schon mal ein Plus. Aber als sie gefragt wurden, ob sie sich für Gray Davis oder für mich entscheiden würden, wenn sie heute wählen müssten, entschieden sie sich mit einem Verhältnis von mehr als 2:1 für Gray Davis. Natürlich hatte ich noch nicht einmal meine Bereitschaft zur Kandidatur erklärt, aber die Umfrage machte deutlich, dass ich noch sehr weit entfernt davon war, Favorit zu sein. Das Berater-Team führte auch andere Minuspunkte auf: Obwohl ich klare moralische Vorstellungen hatte und zu vielen Fragen eine dezidierte Meinung, waren mein Wissen in Sachen Arbeit, Bildung, Einwanderung und Umwelt eher gering. Und natürlich hatte ich auch keine Fundraising-Organisation hinter mir, keinen politischen Stab, keinerlei Erfahrung im Umgang mit politischen Journalisten und war noch nie für irgendetwas gewählt worden.
Eine Frage stellte sich gleich am Anfang: Sollte ich meine Gouverneurskandidatur schon für 2002 anmelden oder noch bis 2006 warten? Warten würde mir mehr Zeit geben, mich bei der kalifornischen Wählerschaft als ernsthafter Bewerber zu etablieren. George Gorton schlug vor, falls ich kandidierte, zunächst einmal die Grundlagen zu erarbeiten, und zwar durch eine Kampagne zur Unterstützung einer bestimmten Wählerinitiative. Anders als die meisten amerikanischen Bundesstaaten kann Kalifornien auf eine lange Tradition der direkten Demokratie zurückblicken. Der kalifornischen Verfassung zufolge sollen Gesetze nicht von den Parlamentariern allein gemacht werden, sondern die Bevölkerung soll selbst entscheiden, indem sie Gesetzesvorlagen bei den Wahlen mit zur Abstimmung bringt. Diese Form des »Bürgerbegehrens« geht auf Hiram Johnson zurück, der Gouverneur von 1911 bis 1917 war und der das Instrument dazu benutzte, die Macht des korrupten Parlaments zu brechen, das von den großen Eisenbahngesellschaften kontrolliert wurde. Das berühmteste Beispiel für ein Bürgerbegehren in jüngerer Zeit stellte die sogenannte »Steuerrevolte« von 1978 dar. Damals hatten die Wähler für die »Proposition 13« gestimmt, eine Gesetzesvorlage mit der offiziellen Bezeichnung »People’s Initiative to Limit Property Taxation«, die eine strenge Begrenzung der Grundsteuer vorsah. Ich hatte damals erst seit zehn Jahren in Amerika gelebt und weiß noch, wie erstaunt ich war, dass gewöhnliche Bürger die Macht des Staates begrenzen
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