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Total Recall

Total Recall

Titel: Total Recall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Dürr (VS Mihr)
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amerikanischen Kampfrichtern hätte ich wahrscheinlich verloren. Aber die deutschen Richter ließen sich schon immer von schierer Muskelmasse beeindrucken, und zum Glück konnte ich ihnen die bieten. Doch so knapp zu gewinnen war kein schönes Gefühl für mich. Ich wollte denn Wettkampf dominieren.
    Ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, nach einem Wettkampf zu den Richtern zu gehen und sie zu bitten, mir meine Schwachstellen und Stärken zu nennen. »Ich weiß meinen Sieg sehr zu schätzen, aber könnten Sie mich trotzdem auf meine Schwächen hinweisen?«, sagte ich. »Ich werde es Ihnen nicht übelnehmen und trotzdem noch für Sie auftreten, falls Sie einmal eine Veranstaltung organisieren.« Einer der Kampfrichter in Essen war ein deutscher Arzt, der meine Karriere seit meinem neunzehnten Lebensjahr verfolgte. Er war ganz offen: »Sie waren etwas weichlich. Ich fand Sie immer noch massiv und beeindruckend. Sie waren der Beste auf der Bühne, aber Sie waren weicher, als ich Sie sehen möchte.«
    Von Essen reiste ich zu Bodybuilding-Messen nach Skandinavien und von dort weiter nach Südafrika, wo ich zusammen mit Reg Park Seminare gab. Das Wiedersehen mit ihm war großartig. Unseren Zwist, als ich ihn in London geschlagen hatte, hatten wir längst wieder begraben. Trotzdem lief die Reise nicht gut. Ich sollte bei einer Messe in der Nähe von Durban auftreten, aber als ich dort ankam, musste ich feststellen, dass niemand daran gedacht hatte, ein Podest aufzubauen. Nun ja, wozu war ich schließlich im Baugewerbe tätig? Ich zimmerte also kurzerhand selbst ein Podest zusammen.
    Allerdings war meine Arbeit wohl doch nicht so ganz professionell, denn mitten in meinen Posen brach alles mit einem furchtbaren Krachen zusammen. Ich landete flach auf dem Rücken. Ein Bein war unter mir eingeklemmt, das linke Knie schlimm verletzt, der Knorpel war beschädigt und die Kniescheibe war völlig verschoben. Die südafrikanischen Ärzte flickten mich zusammen, damit ich die Tour mit einem Verband fortsetzen konnte. Doch abgesehen von diesem Missgeschick war es eine schöne Reise. Ich ging auf Safari, gab Vorstellungen und Seminare und hatte auf dem Rückweg wieder ein paar tausend Dollar in den Sohlen meiner Cowboystiefel.
    Auf dem Heimflug legte ich einen Zwischenstopp in London ein und besuchte Diane Bennett. »Deine Mutter hat versucht, dich zu erreichen«, sagte sie mir. »Ruf sie gleich an. Dein Vater ist krank.« Ich rief an, sprach mit ihr und flog dann sofort nach Österreich. Mein Vater hatte einen Schlaganfall gehabt.
    Er lag im Krankenhaus, als ich ihn besuchte. Er erkannte mich. Trotzdem war es furchtbar. Er konnte nicht mehr sprechen. Er biss sich auf die Zunge. Ich saß bei ihm, was er auch zu merken schien. Er war bei vollem Bewusstsein, dennoch war er auf eine beunruhigende Art abwesend. Es war ihm erlaubt, zu rauchen, aber er war so verwirrt, dass er versuchte, die Zigarette in der Hand auszudrücken. Es war verstörend und schmerzhaft zu sehen, wie ein Mann, der so klug und stark gewesen war (der sogar einmal österreichischer Meister im Eisstockschießen gewesen war), seine Koordinationsfähigkeit und sein Denkvermögen verlor. Ich blieb eine Weile in Österreich. Als ich abreiste, schien sein Zustand stabil zu sein.
    Zurück in Los Angeles, ließ ich mich über Thanksgiving am Knie operieren. Ich kam gerade aus dem Krankenhaus, auf Krücken, das ganze Bein in Gips, als meine Mutter noch einmal anrief. »Dein Vater ist gestorben«, sagte sie.
    Es war herzzerreißend, aber ich weinte nicht und verlor auch nicht die Fassung. Barbara war bei mir und fand es verstörend, dass ich so gar keine Reaktion zeigte. Stattdessen konzentrierte ich mich auf die Dinge, die erledigt werden mussten. Ich rief meinen Arzt an, der mir sagte, dass ich mit dem großen Gips nicht fliegen sollte. Ich konnte also wieder nicht zu einer Familientrauerfeier anreisen. Ich wusste, dass meine Mutter viele Freunde und Verwandte hatte, die das Begräbnis organisieren und sich um alles kümmern würden. Die Gendarmerie würde zusammenstehen, wenn es daranging, einen ehemaligen Kollegen zu beerdigen. Die Kapelle, die mein Vater jahrelang geleitet hatte, würde spielen, so, wie er bei vielen anderen Beerdigungen gespielt hatte. Die Priester der Gemeinde würden sich um die Einladungen kümmern. Die Freunde der Familie würden meine Mutter trösten, und unsere Verwandten würden natürlich auch kommen. Aber trotzdem war ich nicht da, der einzige

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