Tote essen kein Fast Food
gefallen bin“, schaltete ich mich ein. „Er ist Strandkorbwärter am Lister Weststrand, und zwar der mieseste unter der Sonne. Und wenn mich nicht alles täuscht, war er heute Nachmittag schon mal hier und später hat er Frida gekidnappt.“ Herausfordernd sah ich ihn an. „Irgendwie kam mir seine Silhouette bekannt vor, als Jan und ich ihn bei der Falltür zum Bunker entdeckten. Muss an dem niedlichen Bauchtäschchen liegen. Aber ich hab trotzdem nicht gleich geschnallt, wer er ist.“ Der junge Mann, dessen hochgegelter Haarschopf etwas angestaubt aussah, blickte nach unten und fingerte nervös am Verschluss seiner Kunstledertasche herum. Als er wieder hochsah, schleuderten seine Katzenaugen mir wütende Blitze entgegen.
„Du sprichst von der Falltür, bei der Jan sich mit der Polizei treffen will?“, fragte Svea. Ich nickte und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Lars Andresen zusammenzuckte.
„Polizei?“, sagte Frida. „Krass. Aber heute Nachmittag hab ich den hier nicht gesehen.“ Vorsichtig legte sie das Gewehr neben sich auf dem Schlafsack ab und strich sich mit ihren Dreckpfoten die Ponyfransen aus den Augen. „Ich hab mich nur tierisch erschrocken, als ich aus dem Gang da ein Geräusch hörte. Hab ich dir ja schon erzählt, Fanny.“ Treuherzig wie Urmel aus dem Eis blickte sie mich an. „Das war ja wirklich bescheuert vorhin, dass Mia mich erwischt hat, als ich in den Dünen aus dem Loch geklettert bin. Echt Pech. Und gut, dass sie von dir nichts mitgekriegt hat. Ich hab ganz schön Schiss gehabt.“
Moment mal. Was redete Frida denn da schon wieder? Mia? Wieso Mia? Hatte ich irgendwas verpasst? Während die Suchmaschine in meinem Kopf noch ratterte, um herauszufinden, wo hier der Missing Link war, hörte ich Svea seufzen. „Mann, verdammt, Frida, hast du eine Ahnung, was für Sorgen wir uns um dich gemacht haben? Wie konntest du bloß allein hier runterklettern, ohne irgendjemandem Bescheid zu sagen?“ Svea machte eine abrupte Kopfbewegung und ich hörte Sandkörner aus ihrem Haar rieseln. „Und wer ist überhaupt diese Mia? Noch so eine fragwürdige Strandbekanntschaft von euch?“
„Na, die schräge Tussi aus den Nachrichten.“ Frida zog es vor, auf Teil eins der Rede ihrer Mutter nicht weiter einzugehen, und verdrehte stattdessen die Augen über deren offensichtliche Begriffsstutzigkeit. „Die mit der Ratte, die sie schon die ganze Zeit suchen.“
„Mia Sander?“, murmelte ich. „Die vermisste Siebzehnjährige aus Friedrichstadt? Sie war der Kapuzentyp, der dich vorhin in seine Höhle verschleppt hat?“ Frida nickte und ich hätte mich auf der Stelle ohrfeigen können für meine Blödheit. Schließlich hatte ich den schuppigen Schwanz auf ihrer Schulter gesehen, bevor sie Frida zurück in den Schacht gezwungen hatte. Der musste zu ihrer Ratte gehören.
Das war jetzt wirklich irre. Vollkommen irre. Es war Mia, die hier unten hauste? Ein Mädchen, gerade einen Tick älter als ich? Mir wurde flau im Magen. Als hätte ich eine Ahnung gehabt, als ich selbst hier unten gefangen war. Nur dass Mia offensichtlich gar nicht gefangen war, sondern vielmehr andere Leute ihrer Freiheit beraubte. „Und du bist sicher, dass sie es ist?“
„Klar, wegen Muffin.“
„Wegen was?“
„Ihrer weißen Ratte.“ Frida blickte sich suchend um. „Vor Kurzem war sie noch da. Die ist voll süß.“
„Wo ist Mia jetzt?“, meldete sich Lars Andresen mit rauer Stimme.
„Keine Ahnung“, sagte Frida. „Weg. Hat zu tun, sagt sie.“
„Apropos: Und was haben Sie mit alldem zu tun?“, fragte Svea. „Sind Sie ein Komplize von Mia und ihrer ‚voll süßen Ratte‘?“
Lars Andresen, wenn man ihn zur Abwechslung in Ruhe betrachtete statt in Panik oder auf der Flucht, war spargeldünn und wirkte eigentlich eher zerbrechlich als gefährlich. Etwas entspannter, nachdem Frida das Gewehr zur Seite gelegt hatte, lehnte er sich gegen die Wand neben einem Mauervorsprung aus dunkelrotem Backstein, der am Eingang zum zweiten Gang rechtwinklig nach vorn ragte.
„Nein“, erwiderte er, senkte den Blick und rieb sich mit einer erschöpften Handbewegung die Stirn. „Ich bin kein Komplize oder wie Sie das nennen wollen. Mia ist meine …“
Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick vernahmen wir Geräusche, die aus dem Gang hinter ihm drangen, Geräusche von Schritten. Und leise Stimmen. Um Mia konnte es sich nicht handeln, es sei denn, sie hatte mittlerweile begonnen, Selbstgespräche zu führen.
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