Tote essen kein Fast Food
Tinnum.“
„Tinnum?“
„An der Bahnlinie zwischen Westerland und Keitum.“
„Hmm.“ Ich starrte in die Düsternis vor mir. „Los, komm jetzt.“
Bis auf einen Knick ungefähr in der Mitte verlief dieser Gang ebenso schnurgerade wie der andere unterhalb der Dünen. Der Boden war allerdings weniger uneben und so gut wie keine Betonteile verstellten den Weg, sodass wir rasch vorwärtskamen.
Als ich zehn Minuten später Martins Grabungsassistentin mitsamt ihrem kaltschnäuzigen Töchterlein wiedersah, wurde zum zweiten Mal an diesem Tag scharf geschossen.
Dreißig Sekunden bevor wir die Öffnung zu Mias kuscheliger Katakombe erreicht hatten, gellte ein Schrei durch unseren Gang, gefolgt von einer krachenden Gewehrsalve, deren Echo, wie es aussah, den Rest der sandigen Kruste von Decke und Wänden raspelte.
Jan und ich warfen uns auf den Boden, wo auch schon Martin in Deckung gegangen war, die Hände über den Ohren, während die vier Polizisten nach Art von Guerillakämpfern mit gezückten Pistolen und dem Rücken zur Wand im Sandhagel die letzten Meter zurücklegten. Sie kamen gerade rechtzeitig, um den Eierkopf unter dem wohlgezielten Handkantenschlag eines gewissen Strandkorbwärters in sich zusammensacken zu sehen, während der Autoscheinwerfer ruckartig von Svea und Frida wegzoomte, nach einem Kick von Lars’ rechtem Bein aus der Latex-Hand flog, die ihn gehalten hatte, und mit der Rückseite nach unten auf den Boden schepperte. Von wo aus er ein kreisrundes weißes Loch in die Decke brannte.
Der Langhaarige, dessen Sonnenbrille ihm aus dem Haar gerutscht und bei Frida auf dem Schlafsack gelandet war, blickte hektisch um sich. Seine Nasenflügel blähten sich witternd wie die einer ausgehungerten Laborratte in einer labyrinthischen Versuchsanordnung auf der Suche nach ihrem Futter. Dann stürzte er in Richtung des unversperrten Gangs davon.
„Stehen bleiben!“, donnerte der bullige Polizist, worauf noch mehr Sand von der Decke rieselte, und richtete den kalten blauen Strahl seiner LED-Leuchte auf den Fliehenden. Aber es war nur noch ein Blick auf den mickrigen Rattenschwanz zu erhaschen, zu dem sein Haar gebunden war.
„Der kommt nicht weit“, erklärte Svea, während zwei Beamte hinter dem Kerl herrannten. „Dadrin ist es stockfinster. Und er hatte nur diese Lampe.“ Sie deutete auf den Autoscheinwerfer, dessen Licht jetzt an der Decke hin und her schwankte, da einer der Polizisten ihn bei der Verfolgung mit dem Fuß erwischt hatte. Es wurde einem übel davon, wenn man länger hinsah. Kurz darauf hörten wir einen Aufschrei, gefolgt von einem dumpfen Schlag. Dann war es still. Der Typ musste in vollem Lauf mit dem großen Betonbrocken kollidiert sein, hinter dem ich mich vorhin versteckt hatte.
Ich rappelte mich auf. Jan stand schon wieder senkrecht und half mir hoch. „Alles klar bei dir, Papa?“
„Sieht ganz so aus, mein liebes Kind.“ Er schenkte mir einen verschwommenen Blick über seine Brille hinweg, die mit abgebrochenem Bügel auf Halbmast in seinem Gesicht hing. „Hatten wir nicht vereinbart, dass du oben bleibst?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich zu demOberpolizisten um. „Ist bei Ihnen auch alles in Ordnung, Herr Kramer?“
Der bullige Polizist nickte und bückte sich, um die Pistole sicherzustellen, die noch in Reichweite des Glatzkopfs lag. Dann zog er ein Paar Handschellen aus seiner Jackentasche und ließ sie vorsorglich um dessen Handgelenke klicken. „Kann mir irgendwer erklären, was eigentlich hier los war?“ Er räusperte sich, um seine Stimme von ihrem Schmirgelpapierton zu befreien. „Warum wurde geschossen?“
„Wegen Muffin, Mias Ratte“, rief Frida und strahlte den Polizisten an. „Die war unter dem Schlafsack vorgekrochen und lief auf den mit der Pistole zu.“ Sie kramte ein Stück Käserinde aus Mias Rucksack, hielt sie der weißen Ratte vor die rosa Schnauze, die dahinter hervorlugte, und streichelte sie hinter den Ohren. „Hier, Muffin. Die hast du dir echt verdient. Der hatte wohl Angst vor Ratten.“
Der Eierkopf gab ein Grunzen von sich, wälzte sich herum und öffnete mit schmerzverzerrtem Gesicht die Augen.
„Und dann hat der junge Mann hier die Chance genutzt, den Kerl und seinen Kumpanen außer Gefecht zu setzen“, sagte Svea. Sie lächelte Lars an, während sie sich schwungvoll erhob. „Vielen Dank. Sah echt professionell aus. Ohne Sie …“
„… hätten Sie immer noch uns gehabt“, grummelte Mr. Porschebrille,
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