Tote Fische beißen nicht: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (German Edition)
ausgiebig. »Ich gehe ins Bett. Sie kennen sich ja aus. Gute Nacht.«
Endlich hatte Pippa Gelegenheit, sich mit dem Dossier der von Cateline beauftragten Detektei zu beschäftigen. Die ersten Seiten bestanden aus einer langatmigen Beschreibung, wie die Detektive bei der Suche vorgegangen waren. Sowohl die Polizei von Chantilly als auch die in Revel hatten sich zugeknöpft gegeben und keine Informationen zur Verfügung gestellt. Andere Polizeidienststellen hatten sich kooperativer gezeigt. In drei verschiedenen Ländern war wegen des Handels mit gefälschten Ikonen nach Jean Didier gefahndet worden: Polen, Deutschland und Frankreich. Zwar wurde er bei einem Gerichtsverfahren in Polen mangels Beweisen freigesprochen, bei seinem zweiten Prozess in Straßburg hatte er aber weniger Glück: Jean Didier wanderte wegen Kunstfälscherei für acht Jahre ohne Bewährung hinter Gitter.
Pippa pfiff leise durch die Zähne. Jean Didier saß seit Jahren in Haft! Ein Mitarbeiter der Detektei hatte Jean im Gefängnis besucht und mit ihm geredet. Catelines Bitte, ihm schreiben zu dürfen, hatte Didier kategorisch abgelehnt. Nach Einschätzung des Detektivs deshalb, weil Jean sich wegen seiner kriminellen Laufbahn vor seinen Verwandten schämte. Also hatte die Wirtin des Bonace seit vier Jahren nichts mehr von ihm gehört.
Und du, Cateline, hast du aus der gleichen Scham heraus nichts von deinem Wissen über Jean preisgegeben?, dachte Pippa. Ist dir ein Knacki in der Familie peinlich? Oder wolltest du Thierry vor einer Enttäuschung schützen? Lässt du dich und deine Familie deshalb weiterhin verdächtigen und ausgrenzen? Ist dieser Preis nicht zu hoch?
Den Abschluss des Berichtes bildeten Gesprächsprotokolle. Die Detektei hatte Prozesszeugen befragt und sich auch mit jenem Geschädigten unterhalten, dessen gefälschte Ikone Jean schließlich überführte. Es folgte das Gespräch mit einem Gefängniswärter, dann das mit einer jungen Frau, die sich selbst als Jeans Freundin bezeichnete. Das letzte Interview der Mappe enthielt die Aussage eines Mannes, mit dem Jean in der Gefängnisküche gearbeitet hatte. Pippa schnappte nach Luft.
»Hast du da kochen gelernt, Pascal Gascard?«
Leise drückte Pippa die Klinke ihrer Zimmertür, um Tatjana nicht zu wecken. Im Zimmer brannte eine Nachttischlampe, und Tatjana stand vollständig angezogen am Fenster und sah hinaus in die verregnete Dunkelheit. Jetzt drehte sie sich langsam zu Pippa um.
»Du bist ja noch wach«, sagte Pippa, »dabei hast du schon vorhin müde ausgesehen.«
Tatjana zuckte mit den Schultern und deutete auf eine von Pippas Arbeitsmappen, die auf dem Bett lagen. Auf der obersten stand: Einen Menschen erkennt man daran, wie er sich rächt. »Ich frage mich, woran man meine Rache erkennen würde. Was glaubst du?«
Pippa erschrak, denn Tatjana klang sehr ernst. »Was ist los? Möchtest du reden?«
Abrupt schlug Tatjanas Stimmung um. »Nein! Ich möchte nicht reden!«, fauchte sie. »Ich möchte toben, um mich schlagen, kreischen, Gift und Galle spucken, explodieren – morden!«
Spontan ging Pippa zu ihr und zog sie an der Hand zur Tür. »Dann passt das Wetter perfekt. Wir gehen raus in den Regen und den Sturm. Mit dem Wind zu kämpfen wird deiner Wut guttun.«
An der Garderobe ließ Tatjana sich widerstandslos in Ölzeug stecken und wartete stumm, bis Pippa ebenfalls regensicher eingepackt war. Unter einem riesigen Golfschirm und mit einer Taschenlampe bewaffnet gingen sie in die Nacht hinaus.
Untergehakt liefen sie schweigend durch den Wald. Die Bäume schützten sie ein wenig vor der Gewalt des Regens. Der Lichtstrahl der Taschenlampe wies ihnen den Weg bis zur Brücke, auf der Tatjana stehenblieb und lange ins schwarze Wasser starrte.
Plötzlich sagte sie: »Gerald hat mich betrogen.«
»Oje, bei diesem Thema bin ich Expertin.« Pippa seufzte. »Ist es das erste Mal, oder geht das schon eine ganze Weile? Weißt du, wer sie ist?«
»Sie? So einfach ist es leider nicht.« Tatjana lachte bitter auf. »Damit käme ich vielleicht klar. Es ist schlimmer. Elementarer. Er kann mich nie geliebt haben, nicht einen Moment lang – sonst hätte er mir das nicht angetan.«
Tatjana sah wieder gedankenverloren ins Wasser.
»Tut mir leid, aber du müsstest mir ein wenig mehr erzählen, sonst blicke ich nicht durch«, drängte Pippa vorsichtig.
»Er hat mich mit falschen Versprechungen in die Ehe gelockt. Ich bin maßlos enttäuscht«, sagte Tatjana so leise, dass Pippa
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