Tote Fische beißen nicht: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (German Edition)
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»Wir haben Ihr Hinweisschild gesehen und hoffen, dass wir bei Ihnen etwas Leckeres zu essen bekommen«, sagte eine sonore männliche Stimme. »Wir sind hungrig und durchgefroren.«
Pippa fiel die Gabel aus der Hand. Das war Leos Stimme – im Schmeichelmodus!
»Haben Sie für den heutigen Abend noch einen freien Tisch? Für zwei Personen?«, fragte Leo jetzt.
Klar, für zwei Personen, dachte Pippa, und ich würde mit Tibor jede Wette eingehen, dass die zweite Person weiblichen Geschlechts ist.
»Es tut mir wirklich leid. Französisches Gesetz«, antwortete Régine mit unüberhörbarem Bedauern. »Ich darf Ihnen nichts servieren, ohne dass Sie hier auch übernachten.«
»Das ist ein wundervoller Vorschlag!«, rief Leo entzückt. »Wir nehmen ein Zimmer.«
Ja, klar, dachte Pippa, und wer ist wir?
»Leider bin ich komplett ausgebucht. Ich kann Ihnen erst morgen wieder ein Zimmer anbieten«, sagte Régine.
Pippa hielt es nicht länger auf ihrem Platz, die Neugier war stärker. Sie ging um die Ecke zur Tür, vor der Leo stand – in Begleitung von Tatjana. Leo riss entsetzt die Augen auf, als er Pippa sah, aber Tatjana rief erfreut: »Pippa! Das ist ja eine Überraschung!«
Pippa genoss in vollen Zügen, Herrin der Situation zu sein, und sagte mit einem breiten Grinsen: »Hallo Tatjana, du kannst gerne bei mir übernachten, wenn du Lust hast. In meinem Zimmer stehen zwei Einzelbetten.« Sie wandte sich Régine zu. »Und dann dürfen wir den netten Herrn als unseren Bekannten doch sicher ausnahmsweise an unseren Tisch bitten, oder?«
Tatjana umarmte Pippa herzlich. »Du bist ein echter Schatz. Ich nehme dein Angebot sehr gerne an. Mir steht heute Abend der Sinn weder nach dem Vent Fou noch nach den Kiemenkerlen. Ganz zu schweigen von meinem Mann.«
»Geht mir ganz genauso«, sagte Pippa mit Seitenblick auf Leo, hakte sich bei Tatjana unter und zog sie in den Wintergarten. Leo folgte ihnen langsam, sichtlich überfordert von der unerwarteten Entwicklung des Abends. Dennoch schaffte er es, Tatjana und sich formvollendet und charmant vorzustellen und die Damen Auerbach und Keller im Handstreich um den Finger zu wickeln.
Tatjana wirkte abwesend, während sie einen Moment durch die bodentiefen Fenster des Wintergartens in den Regen hinausblickte. Sie sah erschöpft aus und hatte tiefe Augenringe. Schließlich gab sie sich einen Ruck und sagte zu Régine-Deux: »Wie schön es hier ist. Wenn ein Ort selbst bei Regen so zauberhaft aussieht, dann hat er den Namen Paradies wirklich verdient.«
Leo löffelte schweigend seinen Eintopf, aber Tatjana unterhielt sich bereitwillig mit den neugierigen Urlauberinnen aus Berlin und erzählte, dass Leo und sie einen Ausflug nach Toulouse hinter sich hätten.
Leo hat sie also in die Stadt mitgenommen, dachte Pippa, und sie dann als Trost benutzt, nachdem ich seiner Einladung nicht gefolgt bin. Typisch Leo. Sie unterdrückte gerade noch ein Kichern. Das Schöne ist: Seine Eskapaden machen mir nichts mehr aus. Du bist raus, Leo. Endgültig.
»Während der letzten Tage haben mein Bekannter und ich uns so einiges angesehen«, sagte Tatjana gerade. »Mir war nicht klar, wie viel diese Gegend zu bieten hat. Sie ist unglaublich vielseitig.«
Leo sank mehr und mehr über seinem Teller zusammen und hob kein einziges Mal den Blick. Er löffelte das Cassoulet, als wäre es seine Henkersmahlzeit.
Tatjana hat keinen Schimmer, dass Leo mein Mann ist. Ich bin sicher, er hat sich ihr als italienischer Tourist vorgestellt, der ganz zufällig die gleichen Interessen hat wie sie, dachte Pippa. Und jetzt kann er mit der Situation nicht umgehen Zum allerersten Mal. So habe ich ihn noch nie erlebt – normalerweise genießt er es, wenn er denkt, dass zwei Frauen um ihn konkurrieren.
Sie sah zu ihm hinüber. Vielleicht hat er längst begriffen, dass ich kein Interesse mehr an ihm habe und diese Hängepartie keinem von uns beiden nutzt.
»Mir geht es wie Ihnen«, sagte Pippa zu den beiden Urlauberinnen. »Es ist wunderbar, einen Platz auf der Welt zu haben, an den man immer wieder zurückkehren möchte, weil man weiß, welche Erholung und welches Wohlgefühl man dort empfindet. Man versucht, so oft wie möglich hinzukommen – und wenn man nicht da ist, sehnt man sich dorthin. Bei mir ist dieser Platz Venedig.« Sie sah Leo an. »Aber wenn ich immer dort lebte, würde ich mir das Allerschönste nehmen – das Warten auf die Erfüllung.«
Während die Runde am Tisch Pippas Einwurf
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