Tote Fische beißen nicht: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (German Edition)
Morgen mit einem mulmigen Gefühl an den Frühstückstisch.
Lisette hat mich sehr nah an sich herangelassen, dachte sie, hoffentlich ist es ihr nicht unangenehm, mir jetzt zu begegnen. Durch den tiefen Einblick, den sie mir in ihr Seelenleben gewährt hat, ist die Vergangenheit urplötzlich zu meiner persönlichen Gegenwart geworden. Ich wünschte, ich könnte die ganze Sache hinwerfen und mich stattdessen in den Bauarbeiten und meinen Übersetzungen vergraben …
Sie schluckte trocken, als ihr die Ironie dieses Gedankens bewusst wurde – schließlich war eine der Hypothesen zu Jean Didiers Verschwinden, dass er getötet und vergraben worden war. Unwillkürlich schüttelte sie sich.
»So schlecht ist französisches Frühstück nun wirklich nicht«, sagte Pascal, der lautlos an ihren Tisch getreten war. »Ich weiß, dass unsere Angewohnheit, nur Croissants zu essen, die wir obendrein in Kaffee tunken, den Rest der Welt irritiert – aber ich serviere doch wenigstens frisch gepressten Orangensaft und einen hervorragenden Obstsalat – die Früchte habe ich heute Morgen höchstpersönlich gejagt und geschlachtet.«
Pippa ließ sich von seiner Fröhlichkeit gern anstecken, zumal sie erleichtert war, dass Pascal sie nicht auf den vergangenen Abend ansprach. In ihr keimte der Verdacht, dass Lisette weder Ferdinand noch ihrem Wunsch-Erben jemals von ihrer inneren Not erzählt hatte.
Pascal beobachtete zufrieden, dass Pippa ihr Frühstück mit großem Appetit genoss. »Du erinnerst dich doch an unsere Verabredung?«, fragte er. »Kannst du in einer halben Stunde abfahrbereit sein? Ferdinand übernimmt für mich den Rest des Service.«
Pippa nickte mit vollem Mund, und Pascal verschwand wieder in der Küche, aus der bald fröhliches Pfeifen und lautes Topfgeklapper erklang.
Auf dem Weg zum Parkplatz kam ihnen Alexandre Tisserand mit Angelrute entgegen.
»Guten Morgen zusammen. Ich sehe, du bist schon vergeben, Pippa? Schade, ich wollte mich gerade zu einem gemeinsamen Recherchetag anbieten. Nirgends erfährt man so viel wie von einheimischen Anglern.« Er grinste und fuhr fort: »Besonders dann, wenn man sie nach Herzenslust über andere Angler herziehen lässt. An einem so strahlenden Tag wie heute werden wir jede Menge von ihnen treffen.«
»Angler?«, fragte Pippa verdutzt. »Während der Woche sind doch die Kiemenkerle Alleinherrscher über den See.«
»Deshalb trifft sich der eingeweihte Petrijünger auch oben auf dem Berg«, sagte Tisserand und zeigte hinauf zum Chambres d’hôtes au Paradis, von dem er ihr am ersten Abend so begeistert erzählt hatte. »Dort, im kühlen Schatten der alten Steineichen, warten die Forellen.«
Trotz der noch recht frühen Stunde brannte die Sonne vom Himmel, und Pippa blickte sehnsüchtig zu den schattigen Wäldern am Hang hinauf.
»Geht leider nicht, Alexandre. Mein Programm für heute steht fest.« Sie zuckte bedauernd mit den Schultern und entlockte Pascal damit ein triumphierendes Lächeln.
»Dann vielleicht morgen?«
»Auf jeden Fall!« Pippas begeisterte Zustimmung ließ Pascals Lächeln wieder verschwinden.
Heute Pascal. Morgen Alexandre. Übermorgen nichts als Hemingway, beruhigte Pippa sich selbst. Ich werde mich in meinem Zimmer verbarrikadieren und zusehen, dass ich der Abgabe meiner Übersetzung ein gutes Stück näher komme.
Pippa stieg in den rotgelben Wellblech-Lieferwagen, den sie schon auf dem Hof des Vent Fou gesehen hatte. Während sie das Gelände verließen, erklärte ihr Pascal jede Funktion des skurrilen Gefährts. An der Kreuzung zur Rue Cassoulet bat sie ihn, kurz zu halten, weil sie auf der Baustelle nach dem Rechten sehen wollte.
»Ich habe Sie gestern Abend vermisst«, sagte Tibor, der rauchend auf der Treppe vor dem Haus saß. »Ich war bei den Anglern im Camp, um mit Ihrem Freund und seinen Kollegen den Wettstreit zu besprechen. Ihr Deutschen habt eine tolle Sprache: Wettstreit, wetteifern, Wettbewerb … allein durch diese Worte wird man geradezu gezwungen, Wetten abzuschließen!«
»Diese Auslegung hat sicher etwaige Bedenken der Kiemenkerle nachhaltig zerstreut«, sagte Pippa und lachte. »Ich hatte noch zu arbeiten und bin deshalb zurück ins Vent Fou.«
Tibor nickte ernst und stand auf. »Frau Peschmann hat mir gesagt, dass Sie sehr viel über Ihren Büchern sitzen und ich Sie möglichst wenig stören soll. Aber ich brauche dringend eine Entscheidung wegen der Badfliesen. Bestellt wurde dunkelblau glänzend. Geliefert wurde
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