Tote Fische beißen nicht: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (German Edition)
Blick und überlegte ganz offensichtlich, ob er weitererzählen sollte.
»In jedem Fall – Cateline hat nicht auf den jungen Didier gehört«, sagte er leise. »Sie hat, wie geplant, seinen Vater geheiratet. Man kann sich vorstellen, wie schwierig es für alle drei wurde, zusammen unter einem Dach zu leben.«
»So klein, wie das Haus ist, konnte man sich da bestimmt nicht aus dem Weg gehen.« Hotte schüttelte betroffen den Kopf.
»Genau.« Vinzenz nickte. »Deshalb hat der junge Mann auch darauf bestanden, auszuziehen.«
»Das hat man uns in der Bar-Pastis ebenfalls erzählt«, sagte Rudi. »Sein Vater weigerte sich aber, ihn finanziell zu unterstützen. Thierry Didier war der Meinung, dass sein Sohn, solange der sich keine eigene Wohnung leisten konnte, die Füße gefälligst unter den elterlichen Tisch zu stellen und bedingungslos zu gehorchen habe.«
Bruno seufzte schwer. »Diesen Satz gibt es also länderübergreifend. Meine Güte, ich fass es nicht.«
Vinzenz nickte wieder. »Diese Ohnmacht seinem Vater gegenüber hat den Jungen noch wütender werden lassen. Es muss in ihm gekocht haben.«
»Und dann ist der Kleene zu den Legrands ins Vent Fou gezogen, um seinem Vater zu beweisen, dass er sehr gut ohne seine Hilfe zurechtkommen kann«, warf Hotte ein. »Damit hat er die väterliche Autorität verhöhnt und Thierry vor dem ganzen Dorf bloßgestellt.«
»Thierry Didier fand, dass die Legrands ihm mit der Aufnahme des Jungen in den Rücken fielen. Er verlangte von ihnen, seinen Sohn zurückzuschicken. Madame Legrand und ihr Mann boten stattdessen an, weiter für den Jungen zu sorgen. Sie versprachen, ihm Haus und Campingplatz zu vererben, weil sie selber keine Kinder bekommen konnten, sich aber immer welche gewünscht haben.«
Ein beinahe unmerkliches Nicken von Lisette bestätigte Vinzenz’ Worte.
Zu Pippas Überraschung stand jetzt Tatjana leise auf. Sie nahm allerdings nicht den kurzen Weg über den Damm zurück zum Vent Fou, sondern wählte die deutlich längere Route um den See herum und durch den Wald.
Achim Schwätzer sah Tatjana einen Moment lang nach, holte dann rasch eine Jacke aus seinem Zelt und folgte ihr. Er erreichte sie noch vor der Wegbiegung und legte den Arm um sie, als wollte er sie trösten. Ohne dass Tatjana sich gegen seine Geste wehrte, verschwanden die beiden im Wald.
Pippa war von diesem Anblick so fasziniert, dass sie dem Gespräch im Lager erst wieder Aufmerksamkeit schenkte, als Vinzenz mit der Familiengeschichte der Didiers fortfuhr.
»Dann kam die Nacht, in der die Situation eskalierte. Thierry und Cateline hatten den Jungen zu einem Festessen eingeladen, denn die Legrands glaubten an Versöhnung und hatten dieses Treffen verlangt. Da der Junge sich nach Cateline sehnte, ging er hin.«
»Verhängnisvolle Entscheidung«, verkündete Bruno betrübt, »das haben wir auf dem Tennisplatz erfahren.«
»Stimmt leider«, sagte Vinzenz, »denn das glückliche Ehepaar wollte ihm nicht nur mitteilen, dass sie ihm vergeben hätten und ihm von jetzt an eine Wohnung zahlen würden, sondern auch, dass sie sich auf Nachwuchs freuten.«
Bruno machte ein bekümmertes Gesicht. »Für den Jungen musste es so aussehen, als würde ihn das neue Baby endgültig aus der Familie drängen.«
»Darüber, was dann geschah, gibt es nur wilde Gerüchte«, meldete Blasko sich zu Wort. »Es muss auf jeden Fall hoch hergegangen sein. Unsere Informanten mutmaßen, dass es zu einer Schlägerei kam, an der alle drei beteiligt waren: Thierry, Cateline und natürlich dieser Junge.«
Pippa riss der Geduldsfaden. »Dieser Junge … dieser Junge … der muss doch einen Namen gehabt haben! Sagt doch endlich mal seinen Namen!«
Lisette antwortete mit fester, aber trauriger Stimme: »Jean. Er hieß Jean Didier.«
Sie erhob sich steif von der Bank und ging langsam in Richtung Damm. Alle sahen ihr geschockt und stumm nach – irgendwie hatten sie vergessen, dass Lisette zu den Betroffenen gehörte.
Pippa sprang auf und folgte Lisette eilig. Als sie die elegante Dame eingeholt hatte, erkannte sie zum ersten Mal das Leid hinter dem Bedürfnis, die Vorkommnisse in der Rue Cassoulet aufzuklären. Behutsam legte sie ihr den Arm um die Schultern, wie es zuvor Achim bei Tatjana getan hatte. Bei der Berührung begann Lisette sofort zu weinen.
Ich ermittle nicht in einem fiktiven Geheimnis, dachte Pippa erschrocken, hier geht es um echte Menschen. Das ist kein Spiel.
Kapitel 9
P ippa setzte sich am nächsten
Weitere Kostenlose Bücher