Tote Fische beißen nicht: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (German Edition)
fröstelte. »Bilde ich mir das ein, oder ist es kühler geworden?«, fragte sie und warf sich die Picknickdecke über die Schultern. Sie schaute hinauf zum Himmel, an dem kleine Wolken schwebten.
»Ich glaube nicht«, sagte Abel. »Es ist wohl eher die angespannte Situation, auf die du gerade reagierst.«
»Mag sein. Das alles nimmt mich doch mehr mit, als ich dachte.« Sie seufzte und zog die Decke enger um sich. »Was ist denn eure Meinung? Was ist damals wirklich passiert?«
»Zunächst einmal: Mir tun alle leid«, antwortete Abel. »Ich möchte mit keinem der Beteiligten tauschen. Stellt euch vor, jemand verschwindet, und du bleibst zurück. Ganz gleich, auf welcher Seite du stehst – die Tür ist zu. Du kannst nicht mehr mit ihm reden, nichts mehr klarstellen, dich nicht mehr entschuldigen. Das ist grausam. Das wird bei allem, was du tust, immer in deinem Kopf sein, ein dicker, dunkler Fleck aus Schuld. Für den Rest deiner Tage wirst du alles, was dir begegnet, im Licht dieser Erfahrung bewerten.«
Er schauderte, als hätte der kühle Hauch, den Pippa zu spüren glaubte, jetzt auch ihn erreicht. »Dann doch lieber eine unschöne Scheidung wegen eines klügeren Mannes, der auch noch mehr Geld verdient«, fuhr er fort. »Das sind wenigstens klare Verhältnisse, auch wenn es schmerzt.«
Pippa war von Abels Einfühlungsvermögen und seiner Offenheit beeindruckt.
»Dein Plädoyer lässt es noch notwendiger erscheinen, die übrigen Familienmitglieder wieder zusammenzuführen«, sagte sie.
Die drei gingen schweigend nebeneinander her und hingen ihren Gedanken nach.
»Die Daheimgebliebenen machen sich gegenseitig für das Geschehene verantwortlich«, sagte Pippa schließlich. »Das verstehe ich. Aber was ist mit Jean? Wenn er wirklich noch lebt, warum versteckt er sich? Aus Wut auf seinen Vater? Kann man wirklich so lange auf seinen Vater böse sein? Angst vor Bestrafung wird es wohl nicht mehr sein.«
Bruno schüttelte den Kopf. »Er schweigt nicht aus Angst oder Wut – er schweigt aus Scham.«
»Aus Scham?«, fragte Pippa erstaunt. »Aber man hat ihm seine Teenager-Schwärmerei für Cateline und seinen Ausraster doch bestimmt längst vergeben.«
»Aber er sich nicht. Er sich selber nicht«, sagte Bruno ernst.
Abrupt blieb Pippa stehen und sah die beiden Männer an. »Muss man sich wirklich jahrzehntelang dafür schämen, wegen einer jugendlichen Verliebtheit dumme Dinge gesagt und getan zu haben? Das scheint mir doch reichlich übertrieben.«
»Deswegen nicht«, erwiderte Abel. »Aber erinnere dich: Es war Blut auf der Treppe. Von wem stammt dieses viele Blut? Und wie kam es da hin?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.« Pippa zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, dass dieses Blut der Auslöser für die Mordtheorie war.«
»Bruno und ich glauben es zu wissen – und Cateline hat uns mit ihrer Bedingung die Bestätigung für unseren Verdacht gegeben.«
»Welche Bestätigung? Habt ihr beide mehr gehört als ich?«
»Wir können zählen. Gut zählen. Stimmt’s, Abel?«
Dieser nickte. »Allerdings.«
Pippa verdrehte die Augen. »Hört bitte auf, in Rätseln zu sprechen, und sagt mir endlich, was Cateline eurer Meinung nach bestätigt haben soll.«
»Wie viele Kinder haben Cateline und Thierry?«, fragte Abel mit der geduldigen Stimme eines Grundschullehrers.
»Vier. Vier Söhne.«
»Und? Ist einer davon vierundzwanzig Jahre alt?«
Pippas Verwirrung wuchs. »Natürlich nicht. Der älteste der Jungs ist vielleicht achtzehn oder neunzehn.« Sie stutzte. »Ihr meint … was Vinzenz erzählt hat! Cateline war schwanger, als dieses verhängnisvolle Essen bei den Didiers stattfand. Das war die Neuigkeit, die Jean so ausrasten ließ. Es kam zu Handgreiflichkeiten, und dabei …« Sie verstummte erschrocken.
»… ist sie die Treppe heruntergefallen«, vollendete Abel.
»Und hat ihr erstes Kind verloren …«, sagte Bruno.
Wieder schloss Abel den Satz ab. »… und sehr viel Blut.«
Pippa wurde eiskalt. »Ihr denkt, es war Absicht?«
Bruno verzog bekümmert das Gesicht. »Das denken wir. Genau das denken wir.«
»Deshalb sollen wir nicht weiter nach Jean suchen«, sagte Pippa nachdenklich. »Sie will ihn nicht wiedersehen, weil sie ihm nicht verzeihen kann. Aber dann erklärt mir eines: Warum haben die Didiers das nie jemandem erzählt? Das hätte sie doch entlastet.«
»Nur wenn man daran glaubt, dass der Junge freiwillig gegangen ist«, gab Abel zu bedenken.
»Verstehe«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher