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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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entsprechend ohne Anmeldung durchzugehen gedachte, aber da meldete sich ersterer mit delikatem Hüsteln zu Wort: »Bitte um Geduld, Herr Staatsrat, Seine Erlaucht haben Damenbesuch.«
    Also beugte Fandorin sich über den Tisch und schrieb ein Billett:
     
    Herr Generalgouverneur, erlauben Sie, betreffs der heutigen Operation und aller vorausgehenden Ereignisse Bericht zu erstatten. E.F.
     
    »Bitte sch-schnellstmöglich übergeben!« sagte er zu dem bebrillten Sekretär, der das Papier mit einem Diener entgegennahm und in der Tür zum Kabinett verschwand.
    Fandorin wartete gleich dahinter, denn er durfte damit rechnen, unverzüglich vorgelassen zu werden. Doch der Sekretär kam wieder, ging an ihm vorbei und setzte sich wortlos zurück auf seinen Platz.
    »Hat er’s gelesen?« fragte der Staatsrat unzufrieden.
    »Das weiß ich nicht. Aber daß das Billett von Ihnen ist, hab ich ihm geflüstert.«
    Fandorin nickte, lief ungeduldig auf dem Teppichband auf und ab. Die Tür blieb geschlossen.
    »Wen hat er denn bei sich?« konnte Fandorin sich nun nicht mehr enthalten zu fragen.
    »Eine Dame. Jung und bildschön«, erklärte der Sekretär, die Feder bereitwillig beiseite legend; wahrscheinlich hätte er selbst gern mehr gewußt. »Der Name ist mir nicht bekannt, sie ist ohne Anmeldung hinein. Frol hat ihr Einlaß verschafft.«
    »Wedischtschew ist also auch drin?«
    Darauf mußte der Sekretär nicht antworten, denn nun ging die hohe weiße Tür leise knarrend auf, und Wedischtschew erschien.
    »Frol, ich muß in dringender Angelegenheit zu Seiner Erlaucht, es ist äußerst w-w-… wichtig!« stieß Fandorin erregthervor, doch der fürstliche Kammerdiener benahm sich mehr als eigenartig: legte den Finger vor die Lippen, krümmte ihn dann, um Fandorin hinter sich herzulocken, und humpelte, flink ein krummes, filzbeschuhtes Bein vor das andere setzend, über den Korridor.
    Achselzuckend folgte der Staatsrat dem Alten. Vielleicht sind die Klagen der Petersburger, daß die greise Moskauer Obrigkeit wunderlich zu werden anfange, doch nicht ganz von der Hand zu weisen! dachte er dabei.
    Wedischtschew lief durch mindestens fünf Türen, bog mal nach rechts, mal nach links, bis sie schließlich in einen schmalen kleinen Flur kamen, der, wie Fandorin wußte, das Kabinett des Generalgouverneurs mit den Privatgemächern verband.
    Hier blieb Frol Wedischtschew stehen, legte erneut den Finger an die Lippen und stieß sachte ein niedriges Türchen auf. In dem nun lautlos sich öffnenden Spalt war alles, was im Kabinett vor sich ging, bestens einzusehen.
    Fandorin sah Dolgorukoi von hinten im Sessel sitzen und vor ihm, in bemerkenswert geringem Abstand, eine Dame oder ein Fräulein. Von einem Abstand konnte eigentlich überhaupt keine Rede sein – die Besucherin barg das Gesicht an der Brust Seiner Erlaucht, so daß nur noch ihr Scheitel hinter den goldenen Epauletten zu sehen war. Schluchzer durchbrachen die Stille, begleitet von kläglichem Schniefen.
    Fandorin warf einen verständnislosen Blick auf den Kammerdiener, worauf der einmal mehr höchst eigenartig reagierte: Sein runzliges Auge zwinkerte ihm zu. Fandorin, dessen Verwirrung wuchs, richtete den Blick wieder auf den Türspalt, sah den Fürsten die Hand heben und dem weinenden Wesen behutsam über das schwarze Haar streichen.
    »Das wird schon wieder, mein Häschen«, hörte er Seine Erlaucht mit großer Zärtlichkeit sagen. »Recht so, daß du zu mir altem Mann gekommen bist, um dein Herz auszuschütten. Weinen tut immer gut. Und was ihn betrifft, da kann ich dir nur den einen Rat geben: Schlag ihn dir aus dem Kopf. Er paßt nicht zu dir. Und eigentlich zu niemandem. Du bist ein aufrichtiges Mädchen, liebst mit heißem Herzen, halbe Sachen sind gar nicht dein Fall. Er hingegen – ich mag ihn sehr, doch das muß ich sagen: Er ist eine kühle Natur. Wie mit Reif beschlagen. Oder mit Asche. Den kriegst du nicht aufgetaut und zum Leben erweckt. Das haben vor dir schon andere versucht. Hör auf meinen Rat, verschenk nicht dein Herzblut an ihn. Such dir einen anderen Jungen, ein stilles klares Wasser. Mit so einem hast du mehr Glück, glaub das einem alten Mann wie mir.«
    Fandorin hörte den Fürsten reden, und seine schmalen Augenbrauen krochen argwöhnisch auf die Nasenwurzel zu.
    »Ich will aber kein stilles Wasser«, heulte das schwarzhaarige Wesen mit tränenerstickter, doch sehr wohl zu erkennender Stimme. »Sie verstehen gar nichts! Er ist nicht kühl, er ist lebendiger

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