Tote im Salonwagen
Burljajew hervor, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte.»Dafür wanderst du ins Straflager, Früchtchen. Wo du bestimmt nichts Koscheres zu fressen kriegst.«
Fandorins Gesicht verdüsterte sich, er war nahe daran, für die Ehre der Mademoiselle Litwinowa einzutreten, doch die Bankierstochter hatte seinen Beistand, wie es schien, nicht nötig.
»Bestie! Bulldogge!« schleuderte sie dem Oberstleutnant verächtlich entgegen, die Arme in die Seiten gestemmt. »Du möchtest mir am liebsten eine in die Fresse hauen, so à la Chrapow, stimmt’s?«
Burljajew stieg das Blut in den Kopf. Im Nu hatte sein Gesicht die Farbe einer Kohlrübe angenommen.
»Mylnikow«, blaffte er, »die Arrestanten auf die Schlitten verteilen, und ab zum Verhör!«
»Halt, Herr Mylnikow!« intervenierte der Staatsrat mit erhobenem Zeigefinger. »Hier wird k-keiner abgeführt. Ich bin eigens hergekommen, um darauf achtzugeben, daß während der Operation die Gesetzlichkeit gewahrt bleibt. Und leider ist dies ganz und gar nicht der Fall. Auf welcher Grundlage sollen diese Leute festgehalten werden? Sie haben sich keines offensichtlichen Vergehens schuldig gemacht, eine Inhaftnahme aufgrund gesicherten T-t-… Tatbestands scheidet demnach aus. Sollten Sie sich hingegen auf den Verdachtsfall berufen, so braucht es hierfür einen Haftbefehl. Herr Burljajew war so freundlich, mich darauf hinzuweisen, daß die Geheimpolizei den städtischen Behörden im Bereich Ermittlung nicht unterstellt ist. Dies ist korrekt. Festnahmen hinwiederum fallen in den Befugnisbereich des Generalgouverneurs. Als bevollmächtigter Vertreter Seiner Hohen Exzellenz befehle ich, die inhaftierten Personen unverzüglich freizulassen.«
Der Staatsrat wandte sich den Arrestanten zu, die seine trockene, autoritär vorgetragene Rede verdutzt mit angehört hatten.
»Sie sind frei, meine Herren«, verkündete er. »Im Namen von Fürst Dolgorukoi spreche ich Ihnen mein Bedauern über das ungerechtfertigte Vorgehen des Oberstleutnant Burljajew und seiner Untergebenen aus.«
»Das ist unerhört!« bellte Burljajew, dessen Gesichtsfarbe schon nicht mehr einer Rübe, sondern einer Aubergine glich. »Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?!«
»Auf der des G-g-… Gesetzes. Und Sie?« fragte Fandorin zurück.
Burljajew hob die Hände, ihm schienen die Worte zu fehlen, und er kehrte dem Staatsrat demonstrativ den Rücken zu.
»Sackt die Litwinowa ein, dann fahren wir!« befahl er den Agenten. »Und ihr paßt nur auf!« Er zeigte den Sitzenden die Faust. »Euch Gesindel merk ich mir! Allesamt!«
»Frau Litwinowa ist gleichfalls freizulassen«, sagte Fandorin in mildem Ton.
»Aber die hat geschossen!« Der Oberstleutnant fuhr wieder herum, starrte den Sonderbeauftragten ungläubig an. »Auf mich, einen Staatsdiener! In Ausführung meines Amtes!«
»Sie hat gar nicht auf Sie geschossen, Punkt eins. Daß Sie Staatsdiener sind, mußte sie nicht wissen, da Sie sich ihr nicht vorgestellt haben und keine Uniform tragen. P-punkt zwei. Von Ausführung Ihres Amtes sollten Sie auch besser nicht reden. Sie haben die Verhaftung ja nicht einmal ausgesprochen, Punkt drei. Sie haben die Tür eingetreten, sind eingedrungen mit Gebrüll und vorgehaltener Waffe. Ich anstelledieser Herren hätte das Ganze für einen Raubüberfall gehalten und, sofern im Besitz eines Revolvers, augenblicklich das Feuer auf Sie eröffnet. Haben Sie Herrn Burljajew nicht v-versehentlich für einen B-b-… Banditen gehalten?« fragte Fandorin, an das Fräulein gewandt, das ihn ganz sonderbar ansah.
»Ja … ist er denn keiner?« reagierte Esfir Litwinowa geistesgegenwärtig und tat überrascht. »Wer sind Sie dann? Etwa von der Geheimpolizei? Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«
»Das lasse ich Ihnen nicht durchgehen, Herr Fandorin«, versetzte Burljajew zornig. »Das werden wir noch sehen, wessen Behörde die stärkere ist! Scheiße verdammte, abtreten!«
Letzteres galt den Agenten, die gehorsam ihre Waffen wegsteckten und der Tür zustrebten.
Mylnikow beschloß die Prozession. Auf der Schwelle wandte er sich um, drohte den jungen Leuten grinsend mit dem Finger, nickte dem Staatsrat höflich zu und verschwand.
Ungefähr eine halbe Minute war es im Salon still, nur die Wanduhr tickte. Bis der Student mit der lädierten Braue aufsprang und Hals über Kopf zur Tür hinausstürzte. Die übrigen folgten ebenso eilig, keiner dachte daran, sich zu verabschieden.
Wieder eine halbe Minute später waren
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