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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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sie nurmehr zu dritt: Fandorin, Larionow und das impulsive Fräulein.
    Die Bankierstochter musterte Fandorin unverhohlen. Ihr Blick war stechend und herausfordernd, die vollen Lippen, die zum grazilen Gesichtchen nicht recht passen wollten, kräuselten sich zu einem höhnischen Lächeln.
    »Stammt die Inszenierung von Ihnen?« erkundigte sich Mademoiselle Litwinowa und schüttelte ihren Bubikopf mitgespielter Bewunderung. »Einfallsreich, muß man schon sagen. Und virtuos gespielt, das Korsch-Theater ist nichts dagegen. Aber wie hat das Stück Ihrer Meinung nach weiterzugehen? Die dankbare Jungfer fällt ihrem herrlichen Retter um den Hals, tränkt seine gestärkte Hemdbrust mit Tränen und schwört ewige Ergebenheit? Um anschließend ihre Freunde in schriftlicher Form zu denunzieren, ja?«
    Fandorin fiel auf, daß die Kurzhaarfrisur das Fräulein nicht verunstaltete, im Gegenteil: Sie paßte gut zu dem Jungengesicht.
    »Hatten Sie wirklich vor zu schießen?« fragte er. »Das wäre töricht gewesen. Mit s-so einem Nippes«, er stocherte mit dem Stock nach dem immer noch am Boden liegenden Revolverchen, »hätten Sie Burljajew nicht ernstlich schaden können, aber der Kopf wäre Ihnen abgerissen worden dafür. Außerdem …«
    »Und wenn! Ich hab keine Angst!« fiel das angriffslustige Mädchen ihm ins Wort. »Willkür und Gemeinheit darf man niemals hinnehmen!«
    »… außerdem«, fuhr der Staatsrat fort, indem er den Zwischenruf geflissentlich überhörte, »hätten Sie Ihre Freunde in eine üble Lage gebracht. Ihre Abendgesellschaft wäre zur terroristischen Zusammenkunft deklariert worden, und das hätte Lagerhaft für alle bedeutet.«
    Mademoiselle Litwinowa schien zu stutzen, doch nur für einen kurzen Moment.
    »Was für ein Menschenfreund Sie sind!« schmetterte sie. »Nur daß ich nicht glaube, daß die russische Gendarmerie neuerdings d’Artagnans beschäftigt. Solche wie Sie, so höflich und geschniegelt, sind noch schlimmer als die offenkundigen Blutsauger, wie dieser Choleriker vorhin. Und hundertMal gefährlicher! Ihnen ist hoffentlich klar, holder Mann, daß die Vergeltung Sie alle miteinander ereilen wird!«
    Das Fräulein hatte ein paar herrische Schritte auf ihn zu gemacht, so daß Fandorin zurückweichen mußte – der Zeigefinger mit dem spitz zugefeilten Nagel durchstach die Luft bedrohlich kurz vor seiner Nase.
    »Henkersknechte! Steigbügelhalter! Ihr entgeht der Rache des Volkes nicht! Auch wenn ihr denkt, ihr könntet euch hinter den Bajonetten eurer Leibwächter verstecken!«
    »Ich denke nicht daran, mich zu verstecken«, erwiderte der Staatsrat aufgebracht. »Einen Leibwächter habe ich nicht, und wo ich wohne, können Sie in jedem Adreßbuch lesen. Schauen Sie nach unter F: Erast Petrowitsch Fandorin, Sonderbeauftragter des Generalgouverneurs.«
    »Oho, der große Fandorin!« Aufgeregt blickte das Mädchen zu Larionow hinüber, so als beriefe sie ihn zum Zeugen einer großartigen Entdeckung. »Harun-al-Rashid! Sklave der Lampe!«
    »Wie bitte? Was für eine Lampe?« fragte Fandorin irritiert.
    »Das fragen Sie! Der mächtige Geist, der den alten Sultan Dolgorukoi bewacht. Das sieht ihm ähnlich, Iwan«, sie wandte sich wieder an den Ingenieur, »daß er der Spitzelbande mit dem Gouverneur droht. Ich hatte mich schon gefragt, was muß einer für einen Vorgesetzten haben, daß er vor der Geheimpolizei nicht einknickt. Aber daß Sie sich auch für den politischen Polizeidienst nicht zu fein sind, mein lieber Herr Dschinn, das hätte ich nicht gedacht.«
    Sie bedachte Fandorin mit einem letzten, vollends vernichtenden Blick, nickte dem Hausherrn zu und schritt majestätisch zur Tür.
    »Warten Sie!« hielt Fandorin sie zurück.
    »Was wollen Sie noch?« Das Fräulein bog stolz den schlanken Hals. »Mich vielleicht doch verhaften?«
    »Sie haben Ihre Waffe vergessen.« Der Staatsrat hob den Revolver auf und reichte ihn, Griff nach vorn, der Dame.
    Esfir Litwinowa nahm ihm die Waffe mit zwei spitzen Fingern aus der Hand, so als ekelte sie sich vor der Berührung mit dem Staatsrat, und trat ab.
    Fandorin wartete, bis er die Haustür ins Schloß fallen hörte, dann wandte er sich dem Ingenieur zu.
    »Herr Larionow«, sagte er leise, »Ihre Beziehungen zur Geheimpolizei sind mir bekannt.«
    Wie vom Blitz getroffen, zuckte der Ingenieur zusammen. Alsdann trat auf sein gelbliches, von Tränensäcken verunziertes Gesicht ein Ausdruck trauriger Ergebenheit.
    »Dann ist es ja gut«, nickte er müde

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