Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
übertreiben da etwas. Ein bißchen Menschenkenntnis kann nicht schaden. Das hier sind doch keine Bombenleger, das ist ein anständiges Publikum. Und außerdem« – hier senkte er die Stimme, doch nur so weit, daß alle ihn noch verstehen konnten – »hatte ich doch gebeten, bei der Verhaftung delikater vorzugehen. Revolverhiebe auf den Schädel, Arme verrenken – wozu denn gleich so was? Das finde ich gar nicht gut.«
    Mylnikow antwortete mit einer stirnrunzelnden Grimasse und halblautem Brummeln: »Herr Oberstleutnant, mit Verlaub, ich würde an Ihrer Stelle andere Saiten aufziehen bei dem Gesindel. Mit Ihrem Liberalismus machen Sie es uns nur unnötig schwer. Überlassen Sie die mir für ein halbes Stündchen, und sie fangen zu singen an wie die Nachtigallen, das schwöre ich Ihnen.«
    »Das fehlte noch!« zischte Burljajew zurück. »Verschonen Sie mich mit Ihren Methoden. Ich erfahre auch so alles, was ich wissen will.« Dann fuhr er, nun wieder in voller Lautstärke, fort: »Herr Larionow, was haben Sie dort nebenan – Ihr Arbeitszimmer? Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mich dort mit Ihren Gästen ein bißchen unterhalte, der Reihe nach? Sie müssen entschuldigen, meine Herren, es handelt sich um ein außergewöhnliches Vorkommnis.« Der Oberstleutnantließ den Blick über die Leute am Tisch schweifen. »Heute morgen ist Generaladjutant Chrapow von Übeltätern ermordet worden. Ausgerechnet er. Und ich sehe, das erstaunt Sie gar nicht. Das ist es, worüber wir miteinander reden müssen. Wenn Sie gestatten.«
    »Wenn Sie gestatten!« äffte Mylnikow ihn nach, »mein Gott!« – und rannte wutentbrannt, zähneknirschend, einen Stuhl umwerfend hinaus auf den Flur.
    Fandorin seufzte leidend. Das Schmierentheater kam ihm allzu durchsichtig vor, doch bei den Anwesenden schien es seine Wirkung nicht zu verfehlen. Jedenfalls saßen sie alle wie gelähmt auf ihren Stühlen, den Blick auf die Tür gerichtet, hinter der der wütende Kollegienassessor soeben verschwunden war.
    Mit einer Ausnahme allerdings. Das zierliche Fräulein, welches am Klavier saß und nicht im Zentrum des Geschehens, schien durchaus nicht gelähmt, im Gegenteil. Die mattschwarzen Augen sprühten vor Entrüstung, das hübsche braune Gesicht war von Haß verzerrt, und die prallen roten Lippen formten lautlose Zornessprüche, während eine zarte Hand zu der auf dem Klavier liegenden Handtasche wanderte und einen eleganten kleinen Revolver hervorzog.
    Mit beiden Händen umklammerte das tatendurstige Fräulein die kuriose Waffe und hielt sie nun auf den Rücken des Oberstleutnants gerichtet. Doch Fandorin tat einen Riesensprung (aus dem Stand beinahe durch den halben Salon!) und bevor er aufsetzte, hatte er schon mit seinem Rohrstock auf den Lauf geschlagen.
    Das Spielzeug mit dem Perlmuttgriff knallte zu Boden und ging los – nicht allzu laut, doch es reichte, daß Burljajew erschrocken zur Seite sprang und die Agenten ihre Waffenruckartig auf das tollkühne Mädchen richteten. Und ganz bestimmt hätten sie es in ein Sieb verwandelt, wäre der Staatsrat nicht gewesen, dessen atemberaubender Sprung genau vor dem Klavier geendet hatte, weshalb die Missetäterin hinter seinem Rücken verschwunden war.
    »Na da schau an!« japste der Oberstleutnant, der sichtlich Mühe hatte, sich wieder einzukriegen. »Da schau einer an! Die Hündin! Die mach ich kalt!« Und er riß einen großen Revolver aus der Tasche.
    Auf den Lärm hin kam Mylnikow vom Flur zurückgeeilt.
    »Nicht doch, Herr Oberstleutnant! Wir brauchen sie lebend! Nehmt sie fest, Jungs!«
    Die Agenten ließen die Waffen sinken, zwei sprangen auf das Fräulein zu und packten es derb bei den Armen.
    Burljajew schob Fandorin unsanft beiseite und baute sich vor der schwarzhaarigen Terroristin auf, die er beinahe um Haupteslänge überragte.
    »Wer ist die?« ächzte er, immer noch nach Luft schnappend. »Deinen Namen will ich wissen!«
    »Duzen lasse ich mich gleich gar nicht!« erwiderte die Nihilistin kampfeslustig und sah dem Geheimdienstler von unten her ins Gesicht.
    »Wie heißen Sie?« korrigierte der hinzutretende Mylnikow geduldig. »Name, Vorname, Stand. Nun sagen Sie schon.«
    »Esfir Litwinowa, Tochter eines Wirklichen Staatsrats«, antwortete das Fräulein prompt mit gleicher Höflichkeit.
    »Die Tochter von Bankier Litwinow«, erläuterte Mylnikow seinem Vorgesetzten. »Ist bei uns geführt. Bisher aber nicht auffällig geworden.«
    »Und wenn es Rothschilds Tochter wäre!« stieß

Weitere Kostenlose Bücher