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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Schlinge, das garantiere ich.«
    »Das könnte Ihnen so passen. Mir glaubt man mehr als Ihnen. Die Methoden der Geheimpolizei sind meinen Genossen bekannt.«
    »Da mögen Sie recht haben«, stimmte Fürst Posharski ihm zu. »Wer könnte glauben, daß ein Terrorist ohne Fehl und Tadel wie Sie plötzlich einknickt und auspackt. Psychologisch fragwürdig, das gebe ich zu. Allerdings habe ich hier … Na, mein Gott, wo habe ich sie denn …« Er wühlte in seiner braunen Aktenmappe, bis er schließlich einen kleinen Stapel rechteckiger Kärtchen hervorzog. »Da sind sie! Ich dachte schon, ich hätte sie in der Eile auf dem Schreibtisch liegengelassen. Ja, also: Mit dem ›ohne Fehl und Tadel‹, das ist so eine Sache. Soweit ich weiß, herrscht in Ihrer Partei einestrenge Moralauffassung. Sie hätten sich lieber den Anarchisten anschließen sollen, Selesnjow, da geht es lustiger zu. Sie mit Ihrem Charakter, Ihrem ausgeprägten Forschungstrieb. Sehen Sie sich diese Photographien an, meine Herren. Aufgenommen durch ein verstecktes Loch in der Wand eines der schändlichsten Etablissements unserer Stadt, auf der Ligowka. Hier zum Beispiel kann man Sportsfreund Selesnjow von hinten sehen. Bei ihm ist Ljubotschka, ein elfjähriges Kind. Kind natürlich nur vom Alter und der körperlichen Konstitution her, ansonsten, was Erfahrungen und Gewohnheiten angeht, längst kein Kind mehr. Wer ihre Biographie nicht kennt, möchte seinen Augen nicht trauen. Und hier, sehen Sie, Oberstleutnant, hier ist auch Herr Selesnjow gut zu erkennen.«
    Die Polizisten scharten sich um Posharski und betrachteten neugierig die Bilder.
    »Schauen Sie bloß, diese Schweinerei, Herr Fandorin!« rief Smoljaninow entrüstet und reichte dem Staatsrat eines der Photos.
    Fandorin sah nur flüchtig hin und sagte nichts.
    Währenddessen saß der Arrestant blaß auf seinem Stuhl und kaute nervös auf den Lippen. Der Fürst winkte ihm mit dem Finger.
    »Werfen auch Sie einen Blick darauf, Selesnjow, das muß Sie doch interessieren. Subzow, geben Sie es ihm. Falls er es zerreißt, ist das keine Katastrophe, machen wir eben einen neuen Abzug. Anhand dieser Photos, meine Herren, erhalten wir von Herrn Selesnjow ein gänzlich anders geartetes psychologisches Bild. Nein, nein, ich weiß«, fuhr er, an den wie versteinert auf das Photo starrenden Terroristen gewandt, fort, »Sie sind keiner von diesen ausgemachten Sittenstrolchen. Eshat Sie nur einfach interessiert. Aber zuviel Neugier kann schaden.«
    Plötzlich trat Posharski dicht vor Selesnjow hin, faßte ihn mit beiden Händen hart bei den Schultern und sprach langsam und gesetzt, als schlüge er die Silben wie Nägel ein: »Bei dem Prozeß, den Sie als nächstes kriegen, werden Sie keine Gelegenheit haben, den Helden zu spielen, in den die Damen im Saal sich reihenweise verlieben. Danach werden die Genossen auf Sie spucken – den Verräter, den Abschaum, der das strahlende Antlitz der Revolution besudelt hat.«
    Gebannt blickte der Arrestant den Sprechenden von unten her an.
    »Und jetzt erläutere ich Ihnen die andere Möglichkeit.« Der Fürst nahm die Hände von Selesnjows Schultern, zog einen Stuhl heran und nahm, die Beine vornehm übereinanderschlagend, Platz. »Sie sind ein kühner Geist, wild und zügellos. Ich frage mich, was könnten Sie für ein Interesse haben, mit Ihren faden revolutionären Kampfgenossen, diesen vergrämten Märtyrern, gemeinsame Sache zu machen? Die sind wie Bienen, die nicht anders können, als sich zum Schwarm zu ballen, an strikte Regeln zu halten. Sie aber sind einer, der eigene Wege geht, eigenen Gesetzen folgt. Geben Sie es zu, tief in Ihrem Inneren verachten Sie die. Sie sind Ihnen fremd. Ihnen gefällt es viel mehr, Räuber und Gendarm zu spielen, Ihr Leben aufs Spiel zu setzen, die Polizei an der Nase herumzuführen. Ich kann Ihnen ein Spiel anbieten, das interessanter und riskanter ist als dieses ewige Revolutionstheater. Momentan sind Sie eine Marionette in der Hand von Parteistrategen, die in Genf und Zürich hocken und Kaffee mit Sahne trinken, während Dummköpfe wie Sie das russische Pflaster mit Blut tränken. Was ich Ihnen zu bietenhabe, ist, selbst Marionettenführer zu werden und dieses ganze Wolfsrudel zu dirigieren. Es wird Ihnen viel Spaß machen, da bin ich mir sicher.«
    »Ich dirigiere es, und Sie dirigieren mich?« fragte Selesnjow rauh.
    »Sie wird man gerade dirigieren können!« erwiderte Posharski lachend. »Im Gegenteil, ich werde gänzlich von Ihnen

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