Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
Seydlitz, und werden vor Gericht gestellt. Ich untersage Ihnen hiermit, Moskau zu verlassen, halten Sie sich zur Verfügung. Was tun Sie hier überhaupt? Hinter der Tür stehen und lauschen?«
    Schon das zweite Mal binnen kurzem war der Petersburger Gast nicht wiederzuerkennen. Freundlich im Umgang mit den Kollegen, penetrant gegenüber Rachmet, verfuhr er nun mit dem schuldbeladenen Gendarm schroff bis an die Grenze zur Unmanierlichkeit.
    »Das verbitte ich mir!« brauste Seydlitz auf, den Tränen nahe. »Ich bin Offizier! Ich stelle mich dem Gericht, aber so lasse ich nicht mit mir reden! Meine Schuld ist unverzeihlich, das weiß ich. Doch ich leiste Wiedergutmachung, das schwöre ich Ihnen!«
    »Jawohl, und zwar im Strafbataillon«, versetzte der Fürstunverfroren und schlug dem unglücklichen Stabsrottmeister die Tür vor der Nase zu.
    Als Posharski sich wieder umwandte, war jeder Zorn aus seinem Gesicht verflogen – nichts als beflissene Konzentration stand darin zu lesen.
    »Genug, meine Herren, gehen wir an die Arbeit«, sagte er, sich die Hände reibend. »Rollenverteilung! Sie, Burljajew, beaufsichtigen die Agententätigkeit. Prüfen Sie alle revolutionären Zirkel, alle Verbindungen. Schaffen Sie mir diesen Grin her, und wenn schon nicht ihn, dann Mademoiselle Nadel. Und noch eine Aufgabe gibt es für Ihre Agenten: Lassen Sie Seydlitz und seine Leute beschatten. Nach der Abreibung, die ich diesem Baltentölpel verpaßt habe, wird er zu Heldentaten geneigt sein. Er muß jetzt seine Haut zu retten versuchen, wird darum in puncto Eifer wahre Wunder vollbringen. Und dabei in den Methoden nicht wählerisch sein. Soll er uns doch die Kastanien aus dem Feuer holen, verspeisen werden wir sie. Jetzt zu Ihnen, Swertschinski. Der Steckbrief der Täter ist an alle Ihre Leute auf den Bahnhöfen und an den Stadttoren zu verteilen. Sie stehen dafür ein, daß Grin das Stadtgebiet nicht verläßt. Und ich«, der Fürst setzte ein strahlendes Lächeln auf, »kümmere mich derweil um Gwidon. Das ist nur gerecht, schließlich habe ich ihn angeworben. Das heißt, jetzt fahre ich erst mal ins Loskutnaja, nehme mir ein schönes Zimmer und schlafe mich aus. Subzow, Sie bitte ich, ständig in Telefonnähe zu bleiben, falls von Gwidon ein Signal eintrifft. Dann benachrichtigen Sie mich unverzüglich. Die Sache läuft, meine Herren, Sie werden sehen. Nase hoch! wie die Gallier zu sagen pflegen.«
     
    Während der Rückfahrt im Schlitten wurde nicht gesprochen. Smoljaninow sah so aus, als hätte er sehr wohl etwas zu sagen gehabt, traute sich aber nicht. Swertschinski zupfte erregt an seinem gepflegten Schnauzbart. Fandorin schließlich machte einen ungewöhnlich matten und niedergeschlagenen Eindruck.
    Und das hatte seinen Grund.
    Im Glanz der hauptstädtischen Prominenz verblaßte der Nimbus, der den Staatsrat üblicherweise umgab und ihm wohltat, spürbar. Die Respektsperson, der ihre Umgebung jedes gesprochene und sogar jedes nicht gesprochene Wort mit hochachtungsvoller Aufmerksamkeit von den Lippen abzulesen pflegte, verwandelte sich in einen Komparsen, überflüssig und wohl auch ein bißchen komisch. Was spielte er eigentlich noch für eine Rolle? Die Untersuchung wurde von einem erstklassigen, überaus erfahrenen Experten geführt, der seine Aufgabe besser zu bewältigen versprach als der Moskauer Sonderbeauftragte. Und daß dieser Experte nicht eben skrupulös seines Amtes waltete, würde den Erfolg seiner Arbeit nur befördern. (Letzteres ein Gedanke, der Fandorin, kaum daß er ihm einkam, sofort reute, denn er schien ihm ungerecht und von gekränkter Eigenliebe suggeriert.)
    Der wahre Grund für seine Verstimmung lag woanders, wie sich der Staatsrat ehrlich eingestand. Zum ersten Mal hatte das Schicksal ihn mit einem Manne zusammengeführt, der ihm in seinen detektivischen Talenten überlegen war. Oder nein, zum zweiten Mal: Ganz zu Beginn seiner Karriere war er schon einmal einem solchen Genie begegnet, doch diese Geschichte lag in grauer Vorzeit, und er erinnerte sich ihrer ausgesprochen ungern.
    Aus den laufenden Ermittlungen auszusteigen ging aberauch nicht. Seinem Stolz nachzugeben hätte bedeutet, den guten alten Dolgorukoi im Stich zu lassen, der von seinem Assistenten Rührigkeit, wenn nicht gar den rettenden Einfall erwartete.
    In der Gendarmerieverwaltung angekommen, begaben sie sich, immer noch schweigend, in Swertschinskis Kabinett. Hier zeigte es sich, daß der Oberst unterwegs wohl auch mit den Gedanken

Weitere Kostenlose Bücher