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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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sagen?« meldete Smoljaninow sich zu Wort, wobei er schon errötete. »Das war natürlich äußersttrickreich, Herr Oberst, wie Sie diesen Rachmet angeworben haben, aber ich denke, uns Staatsschützern steht es nicht an, mit unlauteren Methoden zu agieren.« Er sprach zunehmend schneller, wohl da er fürchtete, nicht ausreden zu dürfen. »Das wollte ich schon immer einmal sagen … Es ist nicht korrekt, wie wir arbeiten, meine Herren. Dieser Rachmet zum Beispiel hat einen Regimentskommandeur erschossen, ist aus der Haft geflohen, hat einen unserer Leute niedergemacht und Gott weiß was für Scheußlichkeiten noch angestellt, und wir lassen ihn laufen. Anstatt ihn ins Verlies zu stecken, bedienen wir uns seiner Niedertracht, und Sie drücken ihm noch die Hand. Nein, ich verstehe schon, daß wir den Fall auf die Weise schneller aufklären, aber haben wir Schnelligkeit um diesen Preis nötig? Wir hätten Reinheit und Gerechtigkeit zu hüten und verderben die Gesellschaft noch ärger, als die Nihilisten es tun. Das ist nicht gut. Oder wie denken Sie darüber?«
    Zustimmung heischend, blickte der Oberleutnant seine beiden Vorgesetzten an, doch Swertschinski schüttelte nur tadelnd den Kopf, und auch Fandorin schwieg, obwohl sein Blick Sympathie verriet.
    »Wie kommen Sie darauf, junger Mann, daß der Staat für Reinheit und Gerechtigkeit steht?« fragte Posharski mit gutmütigem Lächeln. »Gerechtigkeit, von wegen! Unsere Vorfahren waren Räuber, die das Hab und Gut ihrer Stammesgenossen an sich gerissen und an uns weitervererbt haben, damit wir uns gut kleiden und Schubert hören können. In meinem Fall war kein Erbe vorhanden, aber das ist die Ausnahme. Haben Sie Proudhon nicht gelesen? Eigentum ist Diebstahl. Sie und ich sind als Wächter angestellt, das Geraubte zusammenzuhalten. Vernebeln Sie sich das Hirn nicht mit Illusionen.Wenn Sie schon nicht ohne moralische Grundlage auskommen, merken Sie sich das eine: Unser Staat ist unrein und ungerecht. Aber immer noch besser so einer als Chaos, Blutvergießen und Rebellion. Eine Gesellschaft bessert sich nun mal nur langsam und widerwillig. Darüber vergehen Jahrhunderte. Während eine Revolution dazu da ist, sie mit einem Mal zurückzuwerfen, zurück zu Iwan dem Schrecklichen. Gerechtigkeit ist ohnehin nicht zu haben, es treten nur neue Räuber auf den Plan, und sie werden wieder alles an sich reißen, und den anderen bleibt nichts. Was uns Wächter angeht, so glaube ich mich noch zu poetisch ausgedrückt zu haben. Sie, Oberleutnant, und ich, wir sind Kanalarbeiter. Wir säubern die Kloaken, damit die Scheiße nicht überläuft und auf die Straße schwappt. Und wenn Sie es ablehnen, sich schmutzig zu machen, dann ist es besser, Sie ziehen die blaue Uniform aus und suchen sich einen anderen Beruf. Das ist nicht etwa als Drohung gemeint, nur als guter Rat.«
    Und der Vizedirektor bekräftigte die Aufrichtigkeit seiner letzten Worte mit einem milden Lächeln.
    Oberstleutnant Burljajew, der es kaum erwarten konnte, daß die abwegige Diskussion ein Ende fand, fragte in sachlichem Ton:
    »Ich werde also veranlassen, daß die Wohnung des Privatdozenten Aronson umstellt wird, Euer Erlaucht?«
    »Nein. Die sind dort längst weg. Aronson bitte ich kein Haar zu krümmen. Sonst gefährden wir Gwidon. Außerdem, was sollen wir mit diesem Privatgelehrten? Ein ›Sympathisant‹, weiter nichts. Der hätte uns die Steckbriefe der Kampfesbrüder liefern können, aber die haben wir ja nun auch so. Wer mich viel mehr interessiert, ist diese Kontaktperson zur Partei, die Nadel. Bei der müßte man landen, und dann …«Mitten im Wort schnellte der Fürst auf einmal wie ein Springball in die Höhe, war in zwei Sätzen bei der Tür und riß sie auf. Auf der Schwelle stand schreckensstarr ein Gendarmerieoffizier mit weißblondem Haar und ferkelrosa Gesicht, ein Farbton, der zusehends kräftiger wurde. Fandorin erkannte Stabsrottmeister Seydlitz, Leibwächter des General Chrapow, welcher sich nunmehr in den Mauern des anatomischen Theaters befand und keinen Wächter mehr nötig hatte.
    »Ich … Ich wollte zu Herrn Burljajew. Mich erkundigen, ob es inzwischen eine Spur gibt … Ich habe gehört, gestern nacht wäre jemand verhaftet worden … Sie sind Fürst Posharski, nicht wahr? Ich bin …«
    »Ich weiß sehr gut, wer Sie sind«, unterbrach Posharski ihn schroff. »Sie sind der Mann, der eine Mission von außerordentlicher Wichtigkeit in den Sand gesetzt hat. Sie sind ein Verbrecher,

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