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Tote Kehren Nicht Zurück

Tote Kehren Nicht Zurück

Titel: Tote Kehren Nicht Zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Granger Ann
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eine eigene Persönlichkeit zu besitzen schien, irgendwelche Zweifel hegte an ihrem Recht, hier zu sein. Sie legte das Buch beiseite, schaltete das Nachtlicht aus und sank in den Schlaf.
    Luke lag wach in der Dunkelheit und dachte über seinen Tag nach.
    Merkwürdig , dachte er, während er dem vertrauten Knarren und Knacken des alten Holzes lauschte, das ringsum im Haus arbeitete. Wirklich ein merkwürdiger Tag.
    Er durchlebte in Gedanken alles noch einmal, die Unterhaltungen, die Gesichter der Menschen. Das Wort, das sich ihm am ehesten dafür aufdrängte, war

    »verlegen«, gefolgt von

    »peinlich«. Es waren keine Worte, die Luke vor diesem Tag mit einem Mord assoziiert hätte. Mord war vieles, doch er hätte nie gedacht, dass er

    »peinlich« sein könnte. Und doch war es ohne den geringsten Zweifel so. Die Leute hatten ihm verlegen ihr Beileid ausgedrückt und ihm gute Ratschläge erteilt. Viel lieber wären sie ihm wahrscheinlich aus dem Weg gegangen. Es war schon unter normalen Umständen nicht einfach, einem Hinterbliebenen sein Beileid auszusprechen, doch dem Hinterbliebenen eines Mordopfers … was sollte man ihm denn sagen?
    Am Ende war es Luke so vorgekommen, dass das Mitgefühl in die falsche Richtung geflossen war, nicht von ihnen zu ihm, sondern von ihm zu ihnen. Sie hatten ihm Leid getan, wegen ihres Unbehagens und ihrer Verlegenheit. Sie hingegen waren ihm weniger mit Mitgefühl als mit Nervosität begegnet, sogar Furcht, als wäre es ansteckend, der Angehörige eines Ermordeten zu sein, wie Windpocken.
    Einige waren auch einfach nur neugierig gewesen, teilweise offen, teilweise verschleiert. Leute, die nicht imstande waren, den Drang zum Starren und Gaffen zu beherrschen, waren seinen Blicken nervös ausgewichen und hatten angefangen zu stottern, wenn er sie angesprochen hatte. Er hatte innerhalb kürzester Zeit den Status eines Freaks erlangt. Selbst bei seinem Tutor hatte Luke neben einem Strom von Plattitüden und einem Verhalten, das einem aufgeblasenen Prälaten gut angestanden hätte, eine entschiedene Irritation bemerkt. Durch Luke war ein Hauch rauer Wirklichkeit, von Blut und zerschmetterten Knochen, von sinnloser Gewalt und Grausamkeit, die jeder Zivilisation spottete, in die heiligen Hallen der Akademie gekommen.
    Der Tutor hatte es eilig gehabt, seinen peinlichen Besuch wieder loszuwerden. Luke war nicht schnell genug weggekommen. Doch früher oder später musste er zurückkehren, sich zusammenreißen und das Studium wieder aufnehmen. Das Leben musste weitergehen. Er hatte die Fahrt seiner Mutter nach London nicht gutgeheißen und hielt sie immer noch für unklug und zu früh, doch er konnte nun verstehen, warum sie gefahren war. Die Welt empfand Mitleid mit einem, doch sie blieb deswegen nicht stehen. Wenn man ausstieg, drehte sie sich weiter und ließ einen allein zurück.
    Mit dieser ernüchternden Erkenntnis schlummerte Luke ein.
    Er erwachte inmitten einer qualvollen Panikattacke. Er setzte sich schwitzend im Bett auf, alle Sinne durcheinander, und das Herz hämmerte ihm bis zum Hals. Das Zimmer war hell erleuchtet, doch es waren nicht die kühlen Pastelltöne des anbrechenden Tages. Dieses Licht hatte einen unnatürlichen rötlichen Schein, der zwischen Orange und Blutrot wechselte. Wilde Schatten tanzten über die Wände und sprangen ihm entgegen. Er hörte ein fernes Brüllen wie von einem gigantischen Brennofen. Einen schrecklichen Augenblick lang glaubte er, gestorben und für eine unbekannte Todsünde in ein gotisches Inferno verbannt worden zu sein. Doch die albtraumhafte Szene fand in seinem Zimmer statt, mit den vertrauten Möbeln, den Büchern und der Kleidung vom vergangenen Abend unordentlich auf einem Stuhl. Was hatte das zu bedeuten? Etwas Grauenvolles musste vorgehen.
    Luke sprang aus dem Bett und rannte zum Fenster. Der Himmel hinter Sawyers Garage leuchtete in grellem Rot, und als Luke das Fenster aufriss, gesellten sich das Klirren berstenden Glases und das Krachen splitternder Balken zu dem Brüllen des Hochofens.
    Luke rannte nach draußen in den Korridor hämmerte an die Tür des mütterlichen Schlafzimmers.

    »Mum! Mum! Steh auf und zieh dich an, schnell! Drüben in Sawyers Bungalow ist ein Feuer ausgebrochen, und die ganze verdammte Tankstelle könnte in die Luft fliegen! Wir müssen weg von hier!«
    Er rannte durch den Korridor zu Kates Zimmer, hämmerte gegen die Tür und brüllte ihr die gleiche Warnung zu, während seine Mutter hinter ihm im

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