Tote liegen nicht am Strand: Roman (German Edition)
Pressetante würde es sich nicht entgehen lassen, dem Kriminaldirektor, von allen der Allmächtige genannt, von ihrem Lapsus zu erzählen. Noch war Gelegenheit, sich zu fangen. » Was wollten Sie denn von meinem Lieutenant?«
» Ich möchte, dass er mir den Text der Rede vorlegt, die er heute Abend als Antwort auf die des Ministers halten wird, nachdem man ihm den Verdienstorden überreicht hat. Sozusagen zur Freigabe.«
Viviane atmete tief ein, sie musste entspannt bleiben: Priscilla Smet entschied im Innenministerium an der Place Beauvau über Gedeih und Verderb, sie sollte es sich mit ihr nicht verscherzen. Die Kommissarin zog die Schublade auf und holte einen Kinder-Bueno-Riegel heraus, den sie auswickelte und sehr langsam kaute. » Sie vergessen, dass Lieutenant Monot ein Literat ist. Wenn es darum geht, dem Minister zu antworten, weiß ich nicht, wie er seinen Beitrag vorbereiten sollte. Er wird bestimmt seine Freude daran haben, zu improvisieren.«
Unwiderlegbarer Einwand. Viviane stellte sich das durchtriebene Gesicht der Pressetante vor: wie sich ihre Nase krauszog und sich ihr Mund verkrampfte, während sie gleichzeitig nach Gemeinheiten suchte, um wohlüberlegt zu antworten.
» Sehr gut, Commissaire. Es macht Ihnen wohl Spaß sie zu beschützen, Ihre Männer, es macht Ihnen Spaß sich als Ihre Mutter aufzuführen? Ganz wie Sie wollen, amüsieren Sie sich! Aber machen Sie sich keine Illusionen, jeder normale Mann verlässt eines Tages seine Mutter.«
Die Kommissarin kaute immer nervöser an ihrem Kinder-Bueno-Riegel. Ihre Männer. Was konnte sie dafür, dass sie nur Männer unter ihrem Kommando hatte? Ja, gut, sie konnte etwas dafür: Sie hatte in ihrer Truppe kein weibliches Wesen ertragen und jede, die es gewagt hatte, bei ihr einzudringen, hatte sie zum Zusammenbruch und zur Kündigung getrieben.
Alles war ganz einfach: Sie war die Frau, die anderen waren ihre Männer. Warum verstanden die da draußen das nicht? Es stimmte, sie ergriff von ihnen Besitz, sie kommandierte sie herum, aber war sie ihre Mutter? Tja, ja, ein bisschen. Und im Fall von Augustin Monot, ihrem neuesten Zuwachs, traf das sogar ein bisschen mehr zu. Spielte dieses Luder von Priscilla Smet auf ihn an, als sie von einem normalen Mann sprach, der seine Mutter verlassen musste? Das war doch absurd. Alle ihre Männer waren normal, Lieutenant Monot genau wie die anderen. Sie hatten ein ganz normales Verhältnis zu ihr, so wie sie zu ihnen. Vor allem zu Monot.
» Ah, da fällt mir ein«, fuhr die Pressefrau fort, » geben Sie sich ein bisschen Mühe mit Ihrem Look zum Cocktailempfang. Presse und Fotografen werden da sein. Sie sind die einzige Frau in der 3. Abteilung, also versuchen Sie, dem gerecht zu werden.«
Gerecht werden? Wem? Den Frauen der Kriminalpolizei? Die 3. Abteilung unterstand der Kriminalpolizei– war eine » Pariser Filiale der Kriminalpolizei«, wie ihre Männer zu sagen pflegten– war das ein Grund anzunehmen, dass die Frauen dort weniger elegant wären?
» Das ist meine Sache«, brummelte Viviane und legte auf.
Sie stand auf und betrachte ihr Spiegelbild im Fenster. So brillant stand es um Ihren Fall nicht. Eine unförmige graue Hose, eine kurzärmelige weiße Bluse, die dank der Juli-Hitze mit dunklen Stellen unter den Armen verziert war, und ausgetretene Mokassins. Der Inhalt war mindestens so traurig anzusehen wie die Verpackung: ein Körper, der noch kleiner schien als seine tatsächlichen ein Meter einundsechzig, älter als seine siebenunddreißig Jahre, und vor allem schwerer. Fast jedes Kilo, das sie während des Falls mit dem Sonett vor drei Monaten losgeworden war, hatte sie jetzt wieder auf den Rippen. Was ihr müdes Gesicht betraf, in dem glanzlose graue Augen ruhten, so wirkte es wie eine hastig erstellte Skizze: zu rund, ein wenig aufgedunsen. Ihre braunen Haare waren kurz geschnitten, aber es war keine Frisur. Sie gefiel sich nicht; wem hätte sie gefallen können? Und was würde Lieutenant Monot von ihr denken, wenn er sie nach diesen ganzen Monaten der Abwesenheit wiedersah?
Die Pressetante hatte nicht ganz unrecht, sie musste dem Anlass gerecht werden. Nach Hause zu flitzen, um das bonbonrosa Kostüm zu holen, kam nicht infrage. Es war zu grell, man hatte sie schon zu oft damit gesehen. Sie machte sich etwas frisch, durchquerte das Großraumbüro und rief ihren Männern zu: » Wir treffen uns um 18 Uhr zur Verleihung für Monot im Ministerium. Ich bin schon weg, ich habe noch einen wichtigen
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