Tote liegen nicht am Strand: Roman (German Edition)
musste man im Staatsapparat aufsteigen, um große Seelen zu finden, die sich damit begnügten, Koffer zu öffnen, in Würde nachzuzählen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen? Sie wusste es nicht, hatte es nie wissen wollen.
» Wir sind nicht mehr befugt, die Ermittlungen zu führen, Viviane, wir sind nur noch Touristen. Ich bin das nicht gewohnt. Was macht man in solchen Fällen?«
» Ach, Willy…« Sie hatte das in einer Art und Weise ausgesprochen, die ihren Worten keinen Sinn verlieh. Wie würde er das verstehen? Ihre einzige Sorge war, sie könnte den Lieutenant enttäuschen. Aber enttäuschte sie ihn eher mit einem Ja oder mit einem Nein? Dieser Kerl hatte zu viel Einfluss auf sie, ob er sich dessen bewusst war? Sie musste einen Ausweg aus der Falle finden, schnell. Etwas anderes vorschlagen. Action. » Nein, Willy, die Ermittlungen sind nicht erledigt. Wir können jetzt nichts entscheiden. Ich erinnere Sie daran, dass Zecher-Koko gerade seine Einkäufe erledigt. Fangen wir ihn bei seiner Rückkehr ab, dann können wir auch seine Geschäfte besser beurteilen.«
Der Lieutenant schloss den Karton mit einem breiten Lächeln. Die Idee gefiel ihm! Action! Innerlich bereute Viviane diesen Vorschlag bereits. Warum hatte sie ihm stattdessen nicht vorgeschlagen, in ihrer Lodge abzuwarten? Wie hatte sie diese Gelegenheit nur vorbeiziehen lassen können? Zu spät: Er hatte den Schatz wieder in den Koffer gestellt, um zum Kampf aufzubrechen.
» Ich habe meinen Speer im Segel-Bungalow gelassen, und Sie?«
Sie ging bei sich vorbei, um dort die Axt von neulich Abend zu holen, sie war unglücklich. Was wollte sie damit? Angenommen, es gelänge ihnen, Zecher-Koko abzufangen: Wie sollte sie dem Allmächtigen ihren Eingriff erklären? Sie stellte Willy diese Frage, der sie mit einer Handbewegung abtat.
» Wir sagen, wir hätten die Nacht verliebt am Strand verbracht und waren überrascht, ihn dort anzutreffen.«
Die Nacht verliebt am Strand … Wie konnte er nur so grausam sein? War er dabei, das Feld abzustecken, sie einzustimmen? Ja, am Strand wäre es romantischer als in der Lodge…
Vivianes Puls beschleunigte sich, als sie beim Segel-Bungalow ankamen. Die kleine Lampe, die noch leuchtete, warf ihre verformten Schatten an die Wand. Sie glichen zwei Figuren aus einem Sandalenfilm, wie sie sich so gegenüberstanden, mit ihren Waffen. Sie wartete auf das » Und was machen wir jetzt?« und suchte nach einer Antwort, die ihn aus der Fassung bringen würde.
Aber Willy sagte nur: » Lassen Sie uns ein Nickerchen machen. Er wird uns bei seiner Rückkehr mit seinem Motorengeräusch wecken.« Er legte sich auf die Segelsäcke und schlief sofort ein.
Sie konnte die Augen nicht von ihm abwenden. Er war schön, berührend. Dieser Typ mit seinen einfachen Freuden: laufen, werfen, springen, wahrscheinlich auch lieben. Jetzt war er nur noch ein Körper, der kräftig atmete, ein Körper, der Kraft tankte. Der Körper eines Mannes. Sie hatte ihn während des ganzen Aufenthaltes immer fast nackt gesehen, sie hatte seine Umarmung gespürt, den Geruch seiner Haut beim Tanzen geatmet. Da war er nun, unbeweglich, ruhig, ganz gewöhnlich angezogen. Sie schaute ihn fasziniert an, hoffnungslos, stand da wie ein Kind vor einem weihnachtlichen Schaufenster. Ein Geschenk, das zu schön war für sie. Sie löschte das Licht, um ihn verschwinden zu lassen, aber sein Atem war in dieser sinnlichen Dunkelheit noch präsenter als zuvor.
Zwei Stunden vergingen, dann hörte Viviane endlich den Motor. Sie weckte Willy und nahm ihn mit zum Strand hinter eine Jolle. Er hielt ihre Hand. Ein erregendes Bild aus ihrer Jugend überkam sie: das von dem Schiff in Perros-Guirec, wohin sie sich seinerzeit mit einem Jungen geflüchtet hatte. Sie zitterte, aber vor Kälte. Sie hatte nicht daran gedacht, dass es am Ufer so frisch sein würde.
Im hellen Mondschein fuhr das Dingi in die Bucht ein und kam näher. Zecher-Kokos Silhouette war am Ruder deutlich zu erkennen. Dann wechselte er plötzlich den Kurs und fuhr auf den anderen Felsen zu, wo das Amphitheater lag.
» Autsch, wir haben einen Fehler gemacht, wir haben das Licht im Segel-Bungalow gelöscht«, flüsterte Willy. » Am Ende des Ausflugs ›Das Meer unter dem Mond‹ hat er mir erklärt, dass dieses Licht ihm nachts zur Orientierung in der Bucht dient. Er muss Verdacht geschöpft haben.«
» Egal. Legen Sie sich hin«, flüsterte Viviane zurück. » Von dort, wo er ist, könnte er uns
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