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Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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probieren würde. Inzwischen sah ich mir die Polaroids an, die man offenbar gleich nach Ankunft des Kadavers in der Leichenhalle gemacht hatte. Sie zeigten eine Sporttasche aus violettem und schwarzem Nylon, einmal mit geschlossenem und dann mit geöffnetem Reißverschluß. Bei der offenen Version sah man ein Stoffbündel im Inneren der Tasche. Auf den nächsten Aufnahmen lag das Bündel auf dem Autopsietisch und wurde immer mehr aufgerollt.
    Das letzte halbe Dutzend Polaroids zeigte die einzelnen Teile des Affenkörpers. Der mitphotographierte Maßstab machte mir klar, daß sie wirklich sehr klein waren und von der Größe her höchstens einem weit entwickelten Fötus oder einem neugeborenen Baby entsprachen. Die Verwesung war schon so weit fortgeschritten, daß das Fleisch eine schwärzliche Farbe angenommen hatte und glänzte, als wäre es mit ranziger Tapioka eingeschmiert worden. Ich erkannte den Kopf, den Rumpf und manche der Gliedmaßen, aber es gab auch Teile, die ich anhand der schlechten, aus viel zu großer Entfernung gemachten Bilder nicht identifizieren konnte. Obwohl ich einige davon nach allen Seiten herumdrehte, konnte ich darauf kaum etwas erkennen.
    Die Frau von der Vermittlung meldete sich mit entschlossener Stimme. Ryan war nirgends aufzutreiben. Ich müsse es morgen wieder versuchen. Sie erwartete wohl, daß ich mich mit ihr herumstreiten würde, aber den Gefallen tat ich ihr nicht, sondern bat sie, Ryan mitzuteilen, er solle mich so bald wie möglich anrufen. Dann legte ich auf.
    Die Farbabzüge waren viel schärfer und zeigten mehr Einzelheiten als die Polaroids. Der Photograph, vermutlich Denis, hatte die einzelnen Teile des abgehäuteten und zerstückelten Affen anatomisch richtig angeordnet und ein Übersichtsbild sowie Detailaufnahmen von jedem einzelnen Stück gemacht.
    Die Bilder erinnerten mich irgendwie an ein bratfertig zerlegtes Kaninchen, nur daß auf manchen von ihnen kleine Arme mit winzigen, aus vier Fingern und einem Daumen bestehenden Händen zu sehen waren.
    Die letzten beiden Photos zeigten den Kopf des Affen, der ohne Haut und Fell nackt und verwundbar wie der eines Embryos in der Gebärmutter aussah. Der Schädel hatte etwa die Ausmaße einer großen Kiwi. Obwohl das flache Gesicht irgendwie anthropoid wirkte, mußte man keine Jane Goodall sein, um zu wissen, daß es sich nicht um das eines Menschenaffen handelte. Auf einem der Photos waren die vollständig erhaltenen Zähne zu sehen. Ich sah drei vordere Backenzähne in jedem Quadranten und schloß daraus, daß der Affe vom Busbahnhof ursprünglich aus Südamerika stammen mußte.
    Es ist nichts weiter als eines von den toten Tieren, mit denen wir es hier immer wieder mal zu tun haben, sagte ich mir, während ich die Bilder zurück in ihren Umschlag steckte. Jäger werfen Bärentatzen weg, Teile von geschlachteten Schweinen und Ziegen werden im Straßengraben gefunden und ertränkte Hunde und Katzen im Fluß. Der Grad an Abstumpfung, mit der wir Menschen mit unseren Mitgeschöpfen umgehen, erstaunt mich immer wieder. Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen.
    Warum aber fesselte dieser Fall nach wie vor meine Aufmerksamkeit? Ich nahm die Farbabzüge noch einmal zur Hand. Okay. Ein zerstückelter Affe. Was ist schon groß dabei? Viele tote Tiere werden zerlegt. Vielleicht hat irgendein Arschloch seine Freude daran gehabt, den armen Affen zu quälen und umzubringen. Möglicherweise ein Biologiestudent, der sauer wegen einer schlechten Note war?
    Beim fünften Photo hielt ich plötzlich inne. Wieder einmal krampfte sich mein Magen zusammen. Ich starrte eine Weile auf das Photo, dann griff ich zum Telefon.

23
    Es gibt nichts Verlasseneres als ein Hörsaalgebäude nach den letzten Vorlesungen. So in etwa stelle ich mir die Welt nach der Explosion einer Neutronenbombe vor. Das Licht brennt, Uhren zeigen die Zeit an, Computerbildschirme flackern, aber es sind keine Menschen mehr da. Niemand eilt zu einer Vorlesung oder tippt auf einer Tastatur. Es ist still wie in einer Gruft.
    Ich saß auf einem Klappstuhl vor Parker Baileys Büro in der Université du Québec à Montréal, kurz UQAM. Nachdem ich das Institut verlassen hatte, war ich in meinem Fitness-Center gewesen, hatte Lebensmittel eingekauft und Vermicelli mit Muschelsoße aus der Tiefkühltruhe in der Pfanne erhitzt. Nicht schlecht für ein Schnellgericht. Sogar Birdie hatte begeistert seine Portion gegessen. Jetzt wartete ich ungeduldig darauf, daß Parker Bailey Zeit für

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