Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
seiner Frau fragen würde.
»Haben Sie etwas herausgefunden? Ich… es ist nun schon so lange her, daß ich manchmal nicht mehr darüber nachdenken will.« Während er sprach, starrte er hinunter auf den Parkettboden. »Francine ist jetzt schon eineinhalb Jahre tot, und ich habe von Ihnen allen ein Jahr lang nichts mehr gehört.«
Ich fragte mich, wen er wohl mit »Ihnen allen« meinte.
»Ich habe so viele Fragen beantwortet und mit so vielen Leuten geredet. Mit dem Leichenbeschauer. Der Polizei. Der Presse. Ich habe sogar einen eigenen Detektiv angeheuert. Gott weiß, daß ich diesen Kerl zur Strecke bringen wollte. Aber es war alles umsonst. Niemand hat auch nur die geringste Spur gefunden. Dabei hat man die Zeit, in der er sie getötet hat, auf eine Stunde genau bestimmt. Der Leichenbeschauer sagte, sie sei noch warm gewesen. Da kommt ein Wahnsinniger in mein Haus, tötet meine Frau, und verschwindet spurlos.« Monsieur Champoux schüttelte ungläubig den Kopf. »Haben Sie nun etwas Neues herausgefunden oder nicht?«
In seinen Augen sah ich eine Mischung aus Schmerz und Hoffnung, und ein starkes Schuldgefühl machte sich in mir breit.
»Nein, Monsieur Champoux, eigentlich nicht.« Nur daß der Schlächter vier weitere Frauen auf dem Gewissen hat. »Ich wollte Ihnen nur ein paar Fragen stellen, um sicher zu gehen, daß wir auch nichts übersehen haben.«
Die Hoffnung in seinem Gesicht verschwand und machte tiefer Resignation Platz. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und wartete darauf, daß ich ihm meine Fragen stellte.
»Ihre Frau war Ernährungsberaterin?«
Champoux nickte.
»Und wo hat sie gearbeitet?«
»An vielen verschiedenen Orten. Sie wurde vom MAS bezahlt, und die haben sie dort hingeschickt, wo sie sie gerade brauchten.«
»Was ist das MAS?«
»Das Ministère des Affaires Sociales.« Das Sozialministerium.
»Sie war dann wohl viel unterwegs?«
»Ihr Job bestand in der Beratung von Lebensmittelkooperativen, die meistens von Einwanderern betrieben werden. Sie half ihnen bei der Einrichtung von Gemeinschaftsküchen und zeigte ihnen, wie sie preiswertes, aber gutes Essen kochen und wo sie Fleisch und andere Lebensmittel möglichst kostengünstig einkaufen konnten. Deshalb ist sie in regelmäßigen Abständen in diese Küchen gefahren.«
»Und wo befanden die sich.«
»Überall in der Stadt. In der Parc Extension, an der Côte des Neiges, in St. Henri und Little Burgundy.«
»Wie lange hat Ihre Frau denn für das MAS gearbeitet?«
»So etwa sechs, sieben Jahre. Davor war sie beim Montreal General Hospital. Da hatte sie wenigstens noch geregelte Arbeitszeiten.«
»Hat ihr die Arbeit Spaß gemacht?«
»Oh ja. Und wie.« Die Worte schienen ihm fast im Hals stecken zu bleiben.
»Und beim MAS hatte sie keine geregelten Arbeitszeiten mehr?«
»Sie arbeitete praktisch rund um die Uhr. Am Morgen, am Abend, am Wochenende. Wann immer irgendwo ein Problem auftauchte, fuhr Francine hin, um es zu beheben.« Seine Kiefermuskeln spannten sich an.
»Hatten Sie und Ihre Frau Meinungsverschiedenheiten, was ihre Arbeit betraf?«
Es dauerte eine Weile, bis er antwortete. »Ich hätte gerne mehr von ihr gehabt. Ich wünschte, sie hätte die Arbeit am Krankenhaus nie aufgegeben.«
»Was arbeiten Sie, Monsieur Champoux?«
»Ich bin Bauingenieur. Nur leider wird hier momentan nicht allzu viel gebaut.« Er lächelte mich müde an und legte den Kopf auf die Seite. »Ich bin arbeitslos«, sagte er dann, wobei er das englische Wort verwendete.
»Das tut mir leid.«
Ich wartete einen Augenblick, bevor ich ihm die nächste Frage stellte. »Wissen Sie, wo Ihre Frau an dem Tag war, an dem sie getötet wurde?«
Er schüttelte den Kopf. »Wir haben uns in jener Woche so gut wie überhaupt nicht gesehen. In einer ihrer Küchen hatte es gebrannt, und deshalb hielt sie sich ständig dort auf. Vielleicht wollte sie an ihrem Todestag auch wieder zu dieser Küche fahren, vielleicht auch zu einer anderen. Soviel ich weiß, führte sie keine Aufzeichnungen über ihre Arbeit. Zumindest hat man keine gefunden, weder in ihrem Büro noch hier. Außerdem hatte sie vor, zum Friseur zu gehen.«
Er sah mich mit gequälten Augen an.
»Können Sie sich vorstellen, wie sich das anfühlt? Ich weiß nicht einmal, was meine Frau am letzten Tag ihres Lebens vorgehabt hat.«
Im Hintergrund war das leise Plätschern der Aquarien zu hören.
»Hat sie Ihnen vielleicht etwas Ungewöhnliches erzählt? Hat sie seltsame Telefonanrufe
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