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Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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Julie folgen. Nachthemd-Freak finden. Nachthemd-Freak folgen. Und dabei nicht gesehen werden. Einfacher ging’s nicht.
    Ich fuhr die Rue Ste. Catherine entlang und ließ den Blick über die Gehsteige auf beiden Seiten streifen. Ein paar Frauen warteten vor dem Granada auf Kunden, aber Julie war nicht dabei. So früh hatte ich sie auch nicht erwartet, aber ich war absichtlich schon jetzt gekommen, um mich noch ein wenig umzusehen.
    Das erste Problem tat sich auf, als ich meinen gewohnten Parkplatz ansteuerte. Kaum hatte ich angehalten, tauchte wie ein Geist aus der Flasche eine dicke Frau neben meinem Wagenfenster auf, die sofort auf mich einschimpfte. Sie hatte millimeterdickes Make-up auf dem Gesicht und ein Genick wie ein Bullterrier. Obwohl ich nicht einmal die Hälfte ihrer Worte verstand, war mir sofort klar, was sie von mir wollte. Ich legte den Rückwärtsgang ein und fuhr los, um mir einen anderen Parkplatz zu suchen.
    Ich fand ihn sechs Blocks weiter entfernt in nördlicher Richtung, in einer schmalen Seitenstraße mit dreistöckigen Wohnhäusern. Hier funktionierte die soziale Kontrolle noch, was ich daran erkannte, daß mich mehrere Augenpaare genauestens beobachteten: Ein Mann schaute vom Balkon herunter, zwei andere hockten auf den Eingangsstufen vor einem Haus. Als sie mich sahen, unterbrachen sie ihre Unterhaltung und ließen die Hände mit den Bierdosen auf ihre verschwitzten Knie sinken. Waren diese Blicke feindselig? Neugierig? Desinteressiert? Oder das genaue Gegenteil? Ich würde es nie herausfinden, denn ich hielt mich nicht lange genug auf, um einem von ihnen die Gelegenheit zu geben, mich anzusprechen. Ich schloß den Wagen ab und ging raschen Schrittes die Straße entlang. Vielleicht war ich übernervös, aber ich wollte kein Risiko eingehen, das den Verlauf meiner Mission ungünstig beeinflußt hätte.
    Als ich um die Ecke bog und mich in den Strom der Passanten auf dem Boulevard St. Laurent einreihte, war mir schon bedeutend wohler zumute. Die Uhr am Le Bon Deli zeigte viertel nach acht. Verdammt. Jetzt hätte ich eigentlich schon in Position sein sollen.
    An der Kreuzung mit der Rue Ste. Catherine überquerte ich den Boulevard St. Laurent und sah mir die Frauen vor dem Granada noch einmal genau an. Keine Julie. Würde sie heute überhaupt hierher kommen? Und auf welchem Weg? Warum war ich nicht früher von Zuhause weggefahren? Jetzt war keine Zeit, um lange zu überlegen.
    Ich eilte nach Osten und sah mir dabei die Gesichter auf beiden Seiten der Straße an. Inzwischen war der Strom der Passanten dichter geworden, deshalb bestand die Gefahr, daß Julie unbemerkt an mir vorbeischlüpfte. Ich überquerte das leere Grundstück, über das mich Jewel zwei Nächte zuvor geführt hatte. Vor der Bar, in der wir Julie getroffen hatten, blieb ich kurz stehen und überlegte, ob ich hineinschauen sollte. Dann aber ging ich weiter. Ich glaubte nicht, daß Julie schon so früh dort sein würde.
    Ein paar Minuten später war ich in der Rue St. Dominique und lehnte an einem Laternenmast vor dem Haus, in dem Julie wohnte. Die Straße war leer und still, und auch das Haus sah verlassen aus. Dunkle Fenster, kein Licht auf der Veranda, nur verwitterte Holzwände, an denen der Lack abblätterte. Der Anblick ließ mich an die Photos denken, die ich einmal von den Türmen des Schweigens gesehen hatte, auf denen die indische Parsi-Sekte ihre Toten ablegte, bis ihre Knochen von den Geiern blitzblank abgefressen waren. Mich fröstelte trotz der Hitze der Nacht.
    Quälend langsam verging die Zeit. Ich beobachtete das Haus. Eine alte Frau, die einen mit Lumpen beladenen Einkaufswagen vor sich herschob, humpelte schwer schnaufend den Gehsteig entlang. Mit Mühe navigierte sie ihre Schätze über das unebene Pflaster und brauchte eine halbe Ewigkeit, bis sie um die nächste Ecke gebogen war. Das Rattern und Quietschen ihres Wagens wurde immer leiser und hörte schließlich ganz auf. Danach störte nichts mehr die triste Stimmung in dieser Straße.
    Ich blickte auf meine Uhr. Es war zehn Minuten nach halb neun. Wie lange sollte ich noch warten? Was war, wenn Julie schon gegangen war? Sollte ich bei ihr klingeln? Verdammt, warum hatte ich sie nicht nach der Zeit gefragt? Warum war ich nicht früher hiergewesen? Mein schöner Plan zeigte erste, gravierende Fehler.
    Wieder vergingen ein paar Minuten. Ich überlegte mir gerade, ob ich gehen sollte, als in einem Fenster im ersten Stock ein Licht anging. Nicht lange danach

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