Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
mich interessiert an.
»Ich habe Müllsäcke mit einer zerstückelten Leiche gefunden, die seit etwa drei Monaten dort gelegen haben dürften. Die Tote ist vermutlich eine Weiße, etwa Anfang zwanzig.«
Claudel, der immer ungeduldiger auf seinem Umschlag herumgetrommelt hatte, räusperte sich und schaute ostentativ auf die Uhr.
Bergeron blickte erst ihn, dann wieder mich an. Ich fuhr fort.
»Monsieur Claudel und ich sind die Vermißtenmeldungen durchgegangen und haben eine gefunden, die ziemlich gut passen würde, was das Alter der Person und die Zeit des Verschwindens angeht. Claudel hat die zahnärztlichen Unterlagen sogar persönlich abgeholt. Bei einem Dr. Nguyen in Rosemont. Kennen Sie ihn?«
Bergeron schüttelte den Kopf und streckte seine längliche, magere Hand nach dem Umschlag aus. »Bon«, sagte er. »Geben Sie mir die Unterlagen. Ich werde sie mir gleich einmal ansehen. Hat Denis denn schon den Kopf geröntgt?«
»Daniel hat die Aufnahmen gemacht«, sagte ich. »Sie müßten eigentlich auf Ihrem Schreibtisch liegen.«
Bergeron sperrte die Tür zu seinem Büro auf und ging, dicht gefolgt von Claudel, hinein. Durch die offene Tür sah ich, daß ein brauner Umschlag auf Bergerons Schreibtisch lag. Bergeron nahm ihn und las die Fallnummer. Durch die offene Tür beobachtete ich, wie Claudel sich in dem Büro umsah, als wolle er sich dort häuslich niederlassen.
»Rufen Sie mich doch in einer Stunde an, Monsieur Claudel«, sagte Bergeron.
Der Detective zuckte zusammen. Er wollte etwas sagen, formte dann aber die dünnen Lippen zu einem geraden Strich und verließ, während er seine Manschetten zurechtzupfte, das Büro. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten mußte ich ein Grinsen unterdrücken. Bergeron würde niemals einem Untersuchungsbeamten gestatten, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu blicken. Das hatte Claudel soeben erfahren müssen.
Als der Detective gegangen war, erschien Bergerons mageres Gesicht in der Tür. »Hätten Sie vielleicht Lust, auf einen Sprung hereinzukommen?« fragte er.
»Gerne. Wie wär’s mit einem Schluck Kaffee?« Seit ich im Büro war, hatte ich noch keinen bekommen. Bergeron und ich brachten uns öfters mal gegenseitig Kaffee mit, da sich die Küche in einem anderen Flügel des Gebäudes befand.
»Gut, ich werde inzwischen meinen Kram auspacken.«
Es freute mich, daß Bergeron mich in sein Büro eingeladen hatte. Wir hatten es häufig gemeinsam mit verwesten, verbrannten, mumifizierten oder skelettierten Leichen zu tun, die mit normalen Methoden nicht identifiziert werden konnten. Ich denke, daß unsere Zusammenarbeit gut war. Bergeron war ganz offenbar derselben Meinung.
Als ich zurückkam, lagen zwei Stapel Röntgenaufnahmen auf dem Leuchttisch, die alle ein Stück Kiefer zeigten. Die Zähne leuchteten weiß aus dem schwarzen Hintergrund. Ich erinnerte mich an die Zähne, die ich an dem im Wäldchen gefundenen Kopf gesehen hatte und an deren Makellosigkeit, die in starkem Kontrast zum grausig verwesten Gesicht gestanden hatte. Auf diesen Röntgenaufnahmen sahen sie ganz anders aus. Als hätte man sie für die Inspektion aufgereiht, leuchteten mir in Grau und Weiß die Kronen, Wurzeln und Pulpahöhlen entgegen.
Bergeron legte die Aufnahmen seines Zahnarztkollegen auf die rechte und die unseres Labors auf die linke Seite des Leuchttisches. Mit seinen langen, knochigen Fingern drehte er die Aufnahmen so, daß alle in eine bestimmte Richtung zeigten. Nun begann Bergeron damit, die Aufnahmen der lebenden Isabelle Gagnon mit denen der Leiche aus dem Grand Seminaire zu vergleichen. Beide Serien zeigten ein lückenloses Gebiß mit intakten Wurzeln. Auch in Form und Größe glichen sich die Zähne genau, aber am auffälligsten waren die in hellem Weiß leuchtenden Stellen, die Plomben und Füllungen darstellten. Auch hier stimmten die Aufnahmen des Zahnarztes haargenau mit denen überein, die Daniel angefertigt hatte.
Bergeron studierte die Bilder lange und genau, dann nahm er einen Film von der rechten Seite und legte ihn über das entsprechende Bild auf der linken Seite. Nachdem er die Aufnahmen ausgerichtet hatte, ließ er mich einen Blick darauf werfen. Die unregelmäßigen Formen der Backenzähne waren genau gleich. Bergeron drehte sich herum zu mir.
»C’est positif« , sagte er und stütze sich mit den Ellenbogen auf den Tisch. »Inoffiziell, natürlich, bis ich mit meinem schriftlichen Bericht fertig bin.« Er griff nach seiner Kaffeetasse. In seinem
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