Tote Maedchen luegen nicht
sollte ich ans Fenster klopfen. Oder an die Wand schlagen. Vielleicht sollte ich ihn genauso verunsichern, wie er mich verunsichert hat.
Sie spricht immer lauter. Ob sie es darauf anlegt, ertappt zu werden?
Schließlich bin ich doch hier, um mich an ihm zu rächen, oder?
Ich dachte, das würde mir Freude bereiten, eine gewisse Genugtuung verschaffen. Aber hier draußen vor seinem Fenster zu stehen, befriedigt mich kein bisschen.
Warum also? Warum bin ich hier?
Ich habe schon gesagt, dass es nicht um mich geht. Und
wenn ihr die Kassetten an den richtigen Adressaten weiterschickt, wird niemand außer euch je erfahren, was ich hier sage. Warum also bin ich hier?
Sag es uns, Hannah. Bitte. Erzähl mir, was ich damit zu tun habe.
Bleib ganz ruhig, Tyler. Ich bin nicht hier, um dich zu beobachten. Was du machst, ist mir egal. In Wahrheit schaue ich dich nicht mal an, sondern lehne gerade mit dem Rücken an der Wand und blicke auf die Straße.
Es ist eine richtige Allee. Die Zweige der Bäume berühren sich hoch in der Luft wie Fingerspitzen. Poetisch, nicht wahr? Ich hab sogar mal ein Gedicht geschrieben, in dem ich solch eine Straße mit meinem liebsten Kinderreim verglichen habe: Dies ist die Kirche, das ihre Turmspitze, öffne die Türe ...
Jemand von euch hat mein Gedicht sogar gelesen. Aber dazu kommen wir später.
Auch damit meint sie nicht mich. Ich wusste nicht mal, dass Hannah Gedichte geschrieben hat.
Aber jetzt will ich über Tyler reden. Ich bin immer noch in seiner Straße. Seiner dunklen, verlassenen Straße. Er weiß immer noch nicht, dass ich hier bin, also sollten wir es jetzt hinter uns bringen, ehe er ins Bett geht.
Am Tag nachdem Tyler unter meinem Fenster gestanden hatte, habe ich einem Mädchen in der Schule erzählt, was passiert ist. Dieses Mädchen ist dafür bekannt, einfühlsam und eine gute Zuhörerin zu sein, und ich wollte, dass sich jemand um mich sorgte. Ich brauchte jemanden, der meine Ängste ernst nahm.
Aber da war ich bei ihr definitiv an der falschen Adresse. Dieses Mädchen, das in der Klasse direkt vor mir saß, hat eine perverse Seite, von der nur wenige wissen.
»Ein Spanner?«, fragte sie. » Wirklich ein echter Spanner?«
»Ich glaube schon«, antwortete ich.
»Ich hab mich immer gefragt, was das für ein Gefühl ist...«, sagte sie träumerisch. »Ich meine... zu wissen, dass einem ein Spanner zusieht, das ist doch irgendwie... sexy.«
Total pervers. Aber wer ist sie?
Und was kümmert mich das?
Sie hob lächelnd eine Augenbraue. »Glaubt du, der kommt noch mal wieder?«
Ehrlich gesagt war mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass er wiederkommen könnte. Doch jetzt machte mich dieser Gedanke ganz kribbelig. »Und wenn?«, fragte ich.
»Dann musst du mir unbedingt davon erzählen!«, sagte sie. Damit drehte sie sich um und unser Gespräch war beendet.
Privat hatten wir uns noch nie getroffen. Wir hatten ein paar Wahlfächer gemeinsam, haben uns ganz gut verstanden und ab und zu darüber geredet, ob wir uns mal treffen sollten, aber dazu war es nie gekommen.
Doch jetzt schien die richtige Gelegenheit da zu sein.
Ich tippte ihr auf die Schulter und erzählte ihr, dass meine Eltern verreist wären. Dann fragte ich sie, ob es ihr nicht gefallen würde, den Spanner in flagranti zu erwischen.
Nach der Schule begleitete ich sie nach Hause, um ihre Sachen abzuholen. Da es ein Wochentag war und sie vermutlich lange bei mir bleiben würde, erzählte sie ihren Eltern, wir würden gemeinsam an einem Schulprojekt arbeiten.
Oh nein! Benutzt eigentlich jeder diese Ausrede?
Wir machten unsere Hausaufgaben am Esstisch und warteten darauf, dass es dunkel würde. Ihr Auto parkte als Köder direkt vor dem Haus.
Zwei Mädchen auf einmal. War das nicht unwiderstehlich, Tyler?
Ich rutsche nervös auf meinem Stuhl hin und her.
Wir gingen in mein Zimmer, setzten uns im Schneidersitz auf mein Bett und quatschten über Gott und die Welt. Um unseren Spanner tatsächlich auf frischer Tat zu ertappen, durften wir natürlich nicht zu laut reden. Und plötzlich hörten wir es - das Klicken!
Ihr fiel die Kinnlade runter. Doch ihre Augen haben gestrahlt wie nie zuvor.
Sie flüsterte, um unser Gespräch nicht zu unterbrechen. »Tu einfach so, als hättest du nichts gehört.«
Ich nickte.
Dann hielt sie sich die Hand vor den Mund und improvisierte: »Oh, mein Gott! Er hat dich wirklich angefasst?«
Wir spielten ein paar Minuten lang Komödie und versuchten, nicht plötzlich in
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