Tote Maedchen luegen nicht
Geräusch von sich. Außerdem lasse ich mein Fenster immer gekippt, um ein bisschen Frischluft hereinzulassen. Deshalb wusste ich auch, dass jemand draußen stand.
Doch ich wollte es nicht wahrhaben. Ich konnte nicht glauben, dass gleich in der ersten Nacht, nachdem meine Eltern verreist waren, jemand vor meinem Fenster stand. Also sagte ich mir, dass ich mir alles nur einbildete und mich erst daran gewöhnen müsste, allein zu sein.
Trotzdem war ich nicht so blöd, mich vor dem offenen Fenster umzuziehen, also setzte ich mich aufs Bett. Klick.
Tyler, du Idiot! Früher in der Schule dachten einige Leute, du wärst geistig zurückgeblieben. Aber das bist du nicht. Du bist nur ein ganzer normaler Schwachkopf.
Vielleicht war es ja gar kein Klicken, sagte ich mir. Vielleicht war es nur ein Knarren. Der Holzrahmen meines Betts knarrt manchmal ein bisschen. Das musste es gewesen sein.
Ich zog die Decke über mich und wechselte darunter die Kleider. Ich zog meinen Pyjama an und bewegte mich dabei mit größter Langsamkeit, weil ich Angst hatte, der Unbekannte vor dem Fenster könnte ein weiteres Foto machen. Schließlich war ich nicht sicher, wozu so ein Spanner imstande sein würde.
Doch andererseits würde er sich mit einem weiteren Klicken endgültig verraten und ich könnte die Polizei rufen.
Im Grunde wusste ich nicht, was ich hoffen sollte. Meine Eltern waren nicht zu Hause. Ich war allein. Also hielt ich es für das Beste, ihn zu ignorieren. Und obwohl er draußen war, hatte ich zu viel Angst, was passieren könnte, wenn er sah, dass ich zum Telefon griff.
Ein dummes Verhalten? Vielleicht. Aber damals habe ich eben so empfunden.
Du hättest die Bullen anrufen sollen, Hannah. Das hätte die Lawine womöglich aufhalten können. Die, von der du bereits gesprochen hast.
Die uns alle unter sich begraben hat.
Jetzt werden sich manche von euch bestimmt fragen, warum es für Tyler so einfach war, in mein Zimmer hineinzugucken. Ob ich nachts denn meine Jalousien nicht herunterlasse.
Wer die Schuld beim Opfer sucht, der mag das wissen wollen. Aber so einfach ist das nicht. Ich hatte die Jalousien eben so weit geöffnet, wie ich es mag. In klaren Nächten kann ich dann noch die Sterne beobachten, bevor ich einschlafe. Oder das Zucken der Blitze am Himmel betrachten, wenn ein Gewitter aufzieht.
Das habe ich auch schon gemacht, nach draußen geschaut, während ich einschlafe. Aber im ersten Stock brauche ich auch keine Angst zu haben, dass jemand durchs Fenster guckt.
Als mein Vater herausfand, dass ich die Jalousien offen ließ - wenn auch nur einen Spalt -, stellte er sich draußen auf den Bürgersteig, um sich zu vergewissern, dass von der Straße aus niemand hineinschauen konnte. Und das war auch nicht möglich. Dann ging er quer über das Grundstück bis zu meinem Fenster und fand heraus, dass jemand schon sehr groß sein und sich direkt vor meinem Fenster auf die Zehenspitzen stellen müsste, um mich zu sehen.
Wie lange hast du so dagestanden, Tyler? Das muss ganz schön unbequem gewesen sein. Wenn du all die Anstrengungen auf dich genommen hast, nur um einen kurzen Blick auf mich zu erhaschen, dann hoffe ich zumindest, dass es sich für dich auch gelohnt hat.
Ich glaube, das Ergebnis hat er sich anders vorgestellt.
Hätte ich damals unter meinen Jalousien hindurchgeschaut und Tylers Gesicht gesehen, dann wäre ich nach draußen gerannt und hätte dafür gesorgt, dass er sich in Grund und Boden schämt.
Das bringt mich zum interessantesten Teil...
Moment, jetzt kommst du. Ich erzähle die Geschichte später weiter.
Ich schiebe meinen Kaffeebecher ans andere Ende des Tischs, obwohl er noch halb voll ist.
Ich will euch Tylers Fenster beschreiben. Obwohl die Jalousie ganz heruntergelassen ist, kann ich in sein Zimmer gucken. Die Jalousie besteht aus künstlichem Bambus, zwischen den einzelnen Lamellen sind verschieden große Lücken. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stelle, so wie Tyler, kann ich durch einen ziemlich breiten Spalt sehen.
So, jetzt macht er das Licht an ... und schließt die Tür hinter sich. Er... er sitzt auf dem Bett. Er zerrt sich die Schuhe von den Füβen... und nun die Socken ...
Ich stöhne. Mach jetzt keine Dummheiten, Tyler. Es ist zwar dein Zimmer, in dem du tun und lassen kannst, was du willst, aber du hast dich schon lächerlich genug gemacht.
Vielleicht sollte ich ihn warnen. Ihm eine Chance geben, sich zu verstecken. Sich unter seiner Bettdecke umzuziehen. Vielleicht
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