Tote Maedchen luegen nicht
Scherz. Ich habe meine Liste auf die Theke gelegt, damit sie einen Blick darauf werfen konnte.
»Nicht schlecht«, sagte sie. »Oh, den mag ich.«
Ich stimmte ihr zu, dass die Liste nicht übel war. So toll allerdings auch wieder nicht.
Sie zuckte die Schultern und nannte meine Liste »ganz okay«. Dann weihte sie mich in ein kleines Geheimnis ein. Der Fragebogen sei nicht gerade nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammengestellt worden.
Sondern für Leute, die sich einen depressiven Eigenbrötler wie Holden Caulfield wünschen. Für diese Leistung sollte man den Erfindern des Fragebogens den Nobelpreis verleihen.
Wir waren uns einig, dass zwei Namen auf der Liste ziemlich gut zu mir passen würden. Doch ein anderer Name, der mir persönlich sehr gut gefiel, löste bei ihr eine ganz andere Reaktion aus.
»Der nicht!«, sagte sie mit Nachdruck. All ihre Fröhlichkeit war verflogen. »Glaub mir, der kommt nicht infrage!«
Kommt der irgendwo auf den Kassetten vor, Hannah? Geht es auf dieser Kassette um ihn? Denn ich glaube kaum, dass es um das Mädchen im Sekretariat ging.
»Aber der ist doch süß«, sagte ich.
»Von außen betrachtet«, entgegnete sie.
Sie zog einen Haufen Fünfdollarscheine aus der Kasse, legte meinen darauf, blätterte dann noch mal den ganzen Stapel durch und drehte alle Scheine auf die gleiche Seite.
Ich habe das Thema nicht mehr vertieft, aber das war ein Fehler, wie sich ein paar Kassetten später herausstellen wird.
Da fällt mir ein, dass ich euch ja noch gar nicht erzählt habe, wer die Hauptperson auf dieser Kassette ist. Glücklicherweise ist das genau der richtige Zeitpunkt, um ihn vorzustellen, weil er genau in diesem Moment auf der Bildfläche erschien.
Wieder nicht ich.
Irgendwas brummte in diesem Moment. Ein Handy? Ich schaute die Cheerleaderin an, doch sie schüttelte den Kopf. Dann wuchtete ich meinen Rucksack auf die Theke, holte mein Handy heraus und meldete mich.
»Hallo, Hannah«, sagte der Anrufer, »schön, dass ich dich erreiche.«
»Wer ist da?«, fragte ich.
»Rat mal, woher ich deine Nummer habe?«, fragte er.
Ich sagte ihm, dass ich solche Spielchen hasse, also hat er es mir erzählt: »Ich habe dafür bezahlt.«
»Du hast für meine Telefonnummer bezahlt?«
Die Cheerleaderin hielt sich die Hand vor den Mund und zeigte auf meinen Ausdruck.
Das kann doch nicht sein, dachte ich. Sollte mich wirklich jemand angerufen haben, weil mein Name auf seiner Liste steht? Der Gedanke war schon ein wenig aufregend, aber auch seltsam.
Sie zeigte auf die beiden Namen, über die wir vorhin gesprochen
hatten, aber ich schüttelte den Kopf. Ihre beiden Stimmen kannte ich zu gut, und es war auch nicht derjenige, vor dem sie mich gewarnt hatte.
Ich las ihm die anderen beiden Namen vor, die auf meiner Liste standen.
»Sieht so aus, als wärst du auf meine Liste gekommen«, sagte der Anrufer, »aber ich nicht auf deine.«
Natürlich bist du auf ihre Liste gekommen. Eine andere Liste. Und ich bin mir sicher, es gefällt dir nicht, darauf zu sein.
Ich fragte ihn, an welcher Stelle auf seiner Liste ich stehe.
Er sagte mir wieder, ich solle raten, fügte aber schnell hinzu, dass er nur einen Scherz macht. »Okay«, sagte er, »du bist meine Nummer eins, Hannah.«
Ich formte seine Antwort mit meinem Mund - Nummer eins! -, worüber die Cheerleaderin schier aus dem Häuschen geriet.
»Ist das cool!«, flüsterte sie.
Dann fragte er mich, ob ich am Valentinstag schon etwas vorhätte.
»Kommt drauf an...«, antwortete ich, »... wer du bist.«
Doch er gab mir keine Antwort. Brauchte er auch nicht, weil ich ihn in diesem Moment vor dem Fenster des Sekretariats stehen sah. Marcus Cooley.
Hallo, Marcus!
Ich knirsche mit den Zähnen. Marcus. Ich hätte ihm doch den Stein ins Gesicht werfen sollen.
Marcus ist, wie ihr wisst, einer der größten Kindsköpfe an unserer Schule. Aber nicht einer von der faden, sondern von der sympathischen Sorte.
Ach, wirklich?
Er ist wirklich komisch. Viele todlangweilige Stunden hat er schon durch eine perfekt getimte Bemerkung aufgeheitert. Also habe ich natürlich nicht wörtlich genommen, was er gesagt hat.
Obwohl er, nur ein paar Schritte von mir entfernt, hinter der Scheibe stand, habe ich weiter ins Handy gesprochen. »Du lügst«, sagte ich. »Ich stehe gar nicht auf deiner Liste.«
Meistens wirkt sein Grinsen ja ziemlich albern, aber in diesem Moment sah es fast sexy aus. »Glaubst du etwa, ich würde dir was vormachen?«,
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