Tote Maedchen luegen nicht
fragte er und presste seine Liste gegen die Scheibe.
Obwohl ich zu weit weg stand, um die Namen richtig lesen zu können, nahm ich an, dass er mir beweisen wollte, dass meiner wirklich ganz oben stand. Trotzdem war ich mir sicher, dass er nicht ernsthaft daran dachte, den Valentinstag mit mir zu verbringen. Also ging ich zum Spaß darauf ein.
»Okay«, sagte ich, »wo?«
Die Cheerleaderin hielt sich die Hände vors Gesicht, aber durch ihre Finger hindurch sah ich, dass sie errötete.
Wäre sie nicht gewesen, die mich gewissermaßen anstachelte, hätte ich mich vermutlich nicht so schnell mit ihm verabredet. Doch ich spielte das Spiel weiter und bescherte ihr ein Erlebnis, mit dem sie später bei den anderen Cheerleadern angeben konnte.
Jetzt war es an Marcus zu erröten. »Oh... äh... okay. Wie wäre’s mit dem Rosie’s... ich meine zum Eisessen.«
E5. Ich habe den Stern auf der Karte gesehen, während ich mit dem Bus gefahren bin, wusste aber nicht genau, welchen Ort sie damit meinte. Doch ich hätte es mir denken können, denn wo gibt es das beste Eis und die fettigsten Burger und Pommes weit und breit? Im Rosie’s Diner.
Meine Antwort hörte sich spöttisch an: »Zum Eisessen?« Aber so war sie nicht gemeint. Eine Einladung zum Eisessen hörte sich nur irgendwie so... so süß an. Wir verabredeten uns für später und legten auf.
Die Cheerleaderin schlug mit den Händen auf die Theke. »Du musst mir unbedingt als Erste davon erzählen!«
Ich nahm ihr das Versprechen ab, bis zum nächsten Tag niemandem davon zu erzählen, sicherheitshalber ...
»Einverstanden«, sagte sie. Doch ich musste im Gegenzug versprechen, ihr später jedes kleinste Detail zu berichten.
Einige von euch werden die Cheerleaderin, von der ich rede, bestimmt kennen, aber ihren Namen verrate ich nicht. Sie war sehr nett und ganz aus dem Häuschen wegen meiner Verabredung. Sie hat nichts Falsches getan.
Das meine ich ganz ehrlich, ohne Ironie. Gebt euch keine Mühe, irgendetwas in meine Worte hineinzuinterpretieren.
Ich hatte von Anfang an eine bestimmte Vermutung, um welche Cheerleaderin es sich handelt. Doch wenn ich mich jetzt an den Tag erinnere, an dem wir von Hannah erfahren haben, dann bin ich mir ganz sicher. Es war Jenny Kurtz. Wir hatten Bio zusammen. Damals hatte ich schon davon gehört. Doch als sie davon erfuhr, war sie gerade damit beschäftigt, einen Regenwurm mit dem Skalpell zu sezieren. Sie ließ das Skalpell sinken und fiel in ein langes, benommenes Schweigen. Dann ging sie am Lehrerpult vorbei und aus dem Zimmer.
Ich habe sie später vergeblich gesucht, weil ich so verblüfft über ihre Reaktion war. So wie die anderen hatte auch ich keine Ahnung, dass sie zufällig mit Hannah bekannt war.
Ob ich der Cheerleaderin erzählt habe, was im Rosie’s passiert ist? Nein, stattdessen bin ich ihr so lange wie möglich aus dem Weg gegangen.
Und bald werdet ihr auch wissen, warum.
Natürlich konnte ich ihr nicht ewig ausweichen. Weshalb sie auf einer anderen Kassette nochmals in Erscheinung treten wird - und das sogar namentlich.
Dass ich immer mehr zittere, liegt nicht nur an der kalten Luft. Mit jeder Kassettenseite, die ich mir anhöre, wird meine Erinnerung auf den Kopf gestellt. Verändert sich mein Bild von Personen derart, dass ich sie nicht wiedererkenne.
Als Jenny aus dem Klassenzimmer ging, hätte ich heulen können. Immer wenn ich solch eine Reaktion sah - bei ihr, bei Mr Porter -, wurde ich an den Moment erinnert, als ich selbst davon erfuhr und in Tränen ausbrach.
Dabei hätte ich wütend auf sie sein sollen.
Wenn ihr’s also ganz genau wissen wollt, dann geht zum Rosie’s.
Oh Gott. Ich weiß gar nicht mehr, was ich noch glauben soll. Ich hasse dieses Gefühl.
E5 auf euer Karte. Setzt euch auf einen der Hocker an der Bar. Dann erzähle ich euch, wie’s weitergeht. Doch zuerst ein paar Hintergrundinformationen zu mir und dem Rosie’s.
Ich war an jenem Tag zum ersten Mal dort. Ich weiß, das hört sich komisch an. Jeder war doch schon im Rosie’s, weil das ein cooler, angesagter Laden ist. Aber niemand geht da allein hin. Und immer wenn mich jemand dorthin einladen wollte, hatte ich zufällig schon was anderes vor. Verwandtenbesuche außerhalb der Stadt, zu viele Hausaufgaben, so was in der Art.
Für mich verkörperte das Rosie’s eine ganz bestimmte Aura. Ein Geheimnis. In den Geschichten, die ich hörte, war das Rosie’s immer der Ort, an dem die entscheidenden Dinge passierten. Alex
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