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Tote Maedchen schreiben keine Briefe

Tote Maedchen schreiben keine Briefe

Titel: Tote Maedchen schreiben keine Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Giles
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gestanden. Seine Miene verriet, dass er lieber sein eigenes Grab geschaufelt hätte, als mit uns zu sprechen. Er sagte, er habe einen Anruf von der New Yorker Polizei erhalten, und teilte uns mit, das Gebäude, in dem Jazz wohnte, sei abgebrannt. Sie könnten zwar aufgrund der Zahl und des Zustands der Leichen keine positive Identifizierung vornehmen, doch Jazz sei seit dem Brand nicht mehr in New York gesehen worden und würde für tot gehalten.
    Dad und Mom weigerten sich, zu glauben, dass Jazz tot war. Dad rief Ollie ständig bei der Arbeit und zu Hause an. Aber je mehr Wochen vergingen, desto schwieriger wurde es, sich den Tatsachen zu verschließen. Dass Jazz weggegangen war, um in der Großstadt zu leben, hatte die Welt unserer Eltern erschüttert - jetzt brach sie auseinander. Dann traf der Brief ein. Ein Brief von einem toten Mädchen. Aber das Mädchen, das vor unserer Haustür auftauchte, war nicht Jazz. Völlig ausgeschlossen.
    Warum spielte ich mit? Warum marschierte ich nicht einfach in ihr Zimmer und erklärte: »Du bist nicht meine tote Schwester«? Was würde passieren? Würde sie sich umdrehen und sagen: »Erwischt. In Wirklichkeit bin ich Elvis!«?
    Warum bemühte ich mich nicht, herauszufinden, wer sie war und warum sie das tat? Ich seufzte. Weil das Mädchen eine Jazz war, die ich mochte. Eine bessere, nettere Jazz.
    Plötzlich schoss mir eine Idee durch den Kopf. Ich schaltete den Staubsauger ab. Aus der Idee entwickelte sich ein Plan, ein Plan, der funktionieren könnte. Ich hatte die Schwanzspitze gesehen, jetzt wusste ich, wo ich die Ratte fand.

 
9. Kapitel
    I m Badezimmer drehte ich die Hähne der Badewanne auf und wühlte im Schrank herum. Ganz hinten fand ich ein Glas mit Badesalz und gab etwas davon ins Wasser. Ich beobachtete, wie die Salzkörner wirbelnd aufschäumten und einen blumigen Duft freisetzten, der mit dem Dampf aufstieg. Ich klopfte an die Verbindungstür zu Jazz' Zimmer und rief: »Jazz, ich bin's. Kann ich reinkommen?«
    »Klar.«
    Ich öffnete die Tür und betrat Jazz' Welt. Ihr Zimmer hatte Ähnlichkeit mit einem Zigeunerwagen. Die Wände waren selbstverständlich gelb gestrichen, aber die Farbe sah man nur stellenweise durchblitzen, weil überall Jazz-Trödel festgepinnt, geheftet und geklebt war: Posterkollagen, Fotos, ein getrocknetes Anstecksträußchen vom Homecoming-Ball, Cheerleader-Pompons und Ballkarten. Lässig über die Lampen geworfene Schals sorgten für warmes Licht und Farbe. Der Frisiertisch war vollgestellt mit gerahmten Fotos - die Hall of Fame meiner Schwester - im Spiegelrahmen steckten Bilder der zahlreichen Jungs, mit denen sie zusammen gewesen war. Auf dem Bett türmten sich farbenfrohe Kissen, und das Moskitonetz, das über dem Kopfende drapiert war, ließ es wie den Thron einer Königin erscheinen.
    Ein Megafon, ein CD-Spieler, jede Menge CDs und Stofftiere von Bewunderern - allesamt natürlich gefeierte Highschool-Sportler - lagen in unbekümmerter Willkür auf dem Boden herum. Alles in dem Zimmer war irgendwie skurril: so zum Beispiel die Wanduhr in Gestalt einer schwarz-weißen Katze, die im Takt der Minuten mit dem Schwanz wackelte und die Augen hin- und herbewegte. Ich hasste das Ding.
    Jazz saß vor dem Frisiertisch. Sie betrachtete abwechselnd ein Foto, das sie in den Händen hielt, und ihr Spiegelbild.
    »Ich lasse dir gerade ein Bad ein. Ich weiß, du hast vorhin schon geduscht, aber es geht einfach nichts über ein langes heißes Bad«, sagte ich.
    »Genau. Das ist das perfekte Rezept, um Stress abzubauen.« Sie wandte mir das Gesicht zu. »Was tust du? Ich meine gegen den Stress?«
    »Ich lese Bücher wie Betty und ihre Schwes tern, in denen es um perfekte Menschen und ihre perfekten Familien geht, und träume mich in ihre heile Welt. Ich lese Bücher von Autoren wie Poe und King und denke dabei, dass wir ihnen Stoff für ihre Horrorgeschichten bieten könnten. Ich lese Reisebücher und ...«
    »Ich hab's kapiert.« Jazz hielt das Foto hoch. »Sieh dir das an. Ich bin nicht das Mädchen auf dem Foto.«
    Ich unterdrückte ein Grinsen. »Wie das?«
    »Es liegt nicht nur daran, dass ich abgenommen habe und die Pausbacken weg sind und dass ich den Pony habe herauswachsen lassen. Da ist noch etwas.« Sie betrachtete wieder ihr Spiegelbild. »Von den Toten zurückzukehren, verändert dich. Es war pures Glück, dass ich nicht in dem Feuer umgekommen bin.« Sie streckte die Hand aus und berührte den Spiegel. »Ich war nur Fassade, nicht mehr

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