Unzulänglichkeiten gehört. Ich schlich ein paar Schritte weiter den Flur entlang bis zur vierten Tür und trat ein - in Dads Arbeitszimmer. Ich schloss die Tür hinter mir und setzte mich auf den ledernen Schreibtischsessel vor den Computer.
Es war ein interessanter Gedanke, dass Dad vor mir Angst hatte. Dad und mich hatte nur eine Sache verbunden: die Neugier. Er hatte mich eine Suchende genannt. Ich hinterfragte alles. Wenn Mom den Sessel einen Ohrensessel nannte, wollte ich wissen, warum. Dad hatte sogar schon früh Einfluss auf meine Lektüre genommen. Meine Faszination für Leonardo da Vinci hat er geweckt. Normalerweise kochte Mom bei uns zu Hause, aber Dad übernahm den gelegentlichen Gourmetpart und erklärte mir, da Vinci sei der Meinung gewesen, wir sollten alle Facetten des Lebens erkunden und darin Meisterschaft anstreben - und dass das Kochen eine kreative Kunst sei. Er zeigte mir sogar, wie man in Spiegelschrift schreibt. Und ich nutzte sie, um Jazz daran zu hindern, meine Tagebücher zu lesen. Dad brachte mir bei, einen Computer zu benutzen und Recherchen anzustellen, doch er hasste es, wenn ich mein Wissen einsetzte, um mit ihm zu streiten.
Nach kurzem Nachdenken streckte ich die Hand aus und schaltete den Computer ein. Während er hochfuhr, trommelte ich mit den Fingerspitzen auf die Tastatur.
Ich klickte auf das Symbol für den Internetdienst, tippte mein Passwort ein und wartete. Der Computer gab tickende, surrende Töne und Wählgeräusche von sich. Als das Logo auf dem Bildschirm auftauchte, bewegte ich die Maus und klickte das Mail-Symbol an.
Die leere Eingabemaske erschien und ich begann zu tippen.
An:
[email protected] Betreff : Namen
Nachricht: Habe ganz vergessen, Dir die Namen zu geben. Die Mitbewohnerin heißt Rhonda, den Nachnamen habe ich nicht. Rhondas Freund ist Emory Emerson. Ich vermute, der Typ starb bei dem Brand. Er ist vielleicht bei Rhonda eingezogen, während J auf Tour war. Sie sagt, sie hat der Polizei in NY davon erzählt. Überprüfst Du das?
Nachdem ich auf das Symbol für »Senden« geklickt hatte, wartete ich, bis der Satz »Ihre Nachricht wurde gesendet« erschien. Anschließend löschte ich die E-Mail aus dem Archiv, löschte den Papierkorbinhalt, schloss das Programm, fuhr den Computer runter und schaltete ihn ab. Mit aufgestützten Ellbogen saß ich am Schreibtisch, senkte den Kopf auf die Hände und rieb mir mit den Handballen die geschlossenen Augen. Warum war ich so müde? Fühlte Mom sich immer so?
Ich rollte den Stuhl vom Tisch weg und stand auf. Vielleicht wusste ich nicht, wo es langging, aber ich kannte den Weg zu Jazz' Zimmer und würde mir dieses Tagebuch schnappen.
Behutsam öffnete ich die Tür und lauschte. Ich hörte Jazz und Mom reden. Einige Gesprächsfetzen waren gerade laut genug, um mitzubekommen, dass sie gemeinsam das Scrapbook ansahen. Ich huschte über den Flur und durch die offene Tür in Jazz' Zimmer. Zielstrebig ging ich über den geflochtenen Teppich zum Nachttisch. Dann wischte ich mir die feuchten Hände an den Beinen der Jeanslatzhose ab. Meine Hand zitterte, als ich nach dem Knauf der Schublade griff und sie aufzog.
»Sunny.«
Ich fuhr herum, mein Herz raste.
Das Mädchen, das nicht Jazz war, stand im Türrahmen, eine Hand in die Hüfte gestützt. Ihr Gesicht wirkte jetzt nicht mehr offen und freundlich. Ihre Augen waren zu Schlitzen verengt, in denen Berechnung und Argwohn lag. »Suchst du etwas Bestimmtes?«
Ich stand nur da, ängstlich und stumm.
»Na schön, sag nichts.« Das Mädchen kam Schritt für Schritt näher auf mich zu. »Ich weiß, was du klauen wolltest.«
13. Kapitel
I ch wich zurück, als das Mädchen an mir vorbei auf die herausgezogene Schublade deutete.
»Na los, sieh schon nach«, befahl Jazz.
Ich wandte den Kopf und blickte in die Schublade.
»Siehst du, da ist nichts.« Jazz stemmte beide Hände in die Hüften. »Ich kann einfach nicht glauben, dass du das immer noch tust.«
In der Schublade lag alles noch am selben Platz: Die Brieftasche, die Kosmetiktücher, das Tagebuch waren nach wie vor akkurat darin angeordnet.
»Ich schätze, ich bin eine große Enttäuschung.« Jazz warf sich auf das Bett.
Ich begann, wieder zu atmen, hatte aber keine Ahnung, was ich sagen sollte.
»Tut mir leid, Kleine, aber in New York hatte ich kaum genug Geld für Cornflakes und Milch. Die Snickers-Sucht musste ich mir da abgewöhnen.« Jazz lümmelte sich auf die Kopfkissen. Sie legte einen Fuß über das