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Tote Maedchen schreiben keine Briefe

Tote Maedchen schreiben keine Briefe

Titel: Tote Maedchen schreiben keine Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Giles
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Klammern und beide gaben vermutlich mir die Schuld, weil ich immer ein willkommener Sündenbock war. Niemand gab Jazz die Schuld.
    Nicht-Jazz unterbrach meine Gedanken. »Sunn, ich gebe es ja zu. Das war in gewisser Weise Verrat. Aber stauch mich einfach ordentlich zusammen und komm dann drüber weg. Ich weiß, dass Dad kurz nach mir abgehauen ist, aber aus Mom bin ich nicht ganz schlau geworden, als sie mir davon erzählt hat.«
    Ich nickte. »Ja, du hast angerufen ... wann war das gleich ... im August?«
    Jazz zuckte wieder mit den Schultern. »Ich glaube schon.«
    Ich sah ihr an, dass sie davon nichts wusste.
    »Mit deinem Weggang hatten Mom und Dad nichts mehr, was sie zusammenschweißte. Er hat richtig zu trinken angefangen und Moms Zustand wurde noch schlimmer.«
    Ich ertappte mich dabei, wie ich Dads Eigenart imitierte und mir das Kinn rieb. Das Mädchen hatte ja keinen blassen Schimmer, wie schlimm es geworden war. Die echte Jazz allerdings ebenso wenig.
    »Sie wollte niemanden außer Dad und mir im Haus sehen. Dann wollte sie nachts nicht mehr allein sein und dann ging sie nicht mehr ans Telefon, kochte, putzte und schlief nicht mehr und zog sich nicht mehr an. Wenn sie einen guten Tag hatte, konnte ich sie dazu bewegen, mit mir zum Einkaufen zu fahren. Aber allein betrat sie keinen Supermarkt. Ab und zu gelang es mir, sie dazu zu bringen, in die Kirche zu gehen.«
    Jazz legte ihre Hand auf meine, sodass ich mit dem Löffel nicht mehr in dem Schälchen herumkratzen konnte.
    »Du verbiegst den Löffel noch.«
    Ich zuckte zusammen. »Tut mir leid«, sagte ich.
    »Nein, mir tut es leid.« Jazz lächelte einfältig wie ein Waldgnom. »Und ich will mich entschuldigen.«
    Ich lächelte zurück.
    Sie drückte meine Hand und ließ sie dann los. »Als ich ankam, habe ich gleich gesehen, dass die Fensterläden geschlossen sind. Mom erlaubt dir nicht, sie zu öffnen, oder?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Jazz stand auf und ging zum Kühlschrank. Sie streichelte Toulouse über den Rücken, bis er laut und rau schnurrte.
    »Vielleicht kannst du wieder ein Leben wie normale Kids führen, weil ich ja jetzt hier bin, um zu helfen«, meinte sie.
    »Ich war nie ein Kind und abgesehen davon ist das Leben kein Theaterstück, Jazz. Du kannst die Vergangenheit nicht neu schreiben.«
    Jazz lächelte, auf ihrem Gesicht lag ein verträumter, versonnener Ausdruck. »Sicher kann man das, Sunny, sicher.«

11. Kapitel
    » J asmine?« Moms Stimme drang in die Küche. Sie klang ängstlich und verloren, wie ein Kind, das nach seiner Mutter ruft.
    Ich blickte Jazz an. »Die Tablette sollte noch wirken. Warum gehst du nicht zu ihr, um ihr zu zeigen, dass du noch da bist? Dann schläft sie wahrscheinlich wieder ein.«
    »Klar«, stimmte Jazz zu. »Ich setze mich zu ihr. Mag sie es, wenn ich ihr irgendwas vorlese, oder so?«
    Plötzlich verspürte ich den Wunsch, diesem Mädchen wehzutun. Sie für Jazz' sträflichen Egoismus bezahlen zu lassen. »Schau unter mein Bett. Da liegt dein altes Scrapbook. Mom sieht es sich stundenlang an. Sie sitzt in einem alten Bademantel mit ungewaschenen Haaren herum, schaut sich das Album an und weint. Stundenlang, tagelang, wochen...«
    Jazz fiel mir ins Wort. »Es tut mir leid. Wie oft muss ich das noch sagen, Sunn. Es tut mir leid. Ich ... ich hatte keine Ahnung.«
    »Es war dir egal.« Das rutschte mir heraus, bevor ich mich bremsen konnte.
    Jazz seufzte und ging.
    Ich schob mein Eisschälchen weg. Der Löffel klapperte, das Schälchen stieß gegen die Eispackung und kippte um. Es rollte auf seinem Rand hin und her.
    Du bist bescheuert, dachte ich. Sie. Ist. Nicht. Jazz.
    Das Telefon klingelte und ich sprang auf, sodass ich mit den Knien gegen den Tisch stieß. Das Schälchen trudelte über die Tischkante, landete klappernd auf dem Boden und prallte ab. Pu war unversehrt. Plastikschälchen für Kleinkinder überstehen Unfälle und Wutausbrüche.
    Beim zweiten Klingeln nahm ich den Hörer ab und klemmte ihn zwischen Ohr und Schulter. »Hallo?«
    »Gut. Ich habe gehofft, dass du abnimmst.«
    »Na, Dad, hast du das rettende Ufer erreicht?«
    »Was zum Teufel soll das bitte bedeuten?«
    »Denk mal drüber nach, dann dämmert es dir.«
    Dad stieß einen tiefen, genervten Seufzer aus. »Willst du über die« - er suchte nach Worten - »die Situation reden oder mich zum Schurken in deinem kleinen Rührstück machen?«
    »Mir egal. Was willst du?«
    »Ich rufe Ollie an.«
    »Den Polizeichef? Ich dachte, du wolltest,

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