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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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nicht einfach in ein Raumflugzeug und fertig?«
    »Die Orient Express geht erst morgen. Außerdem möchte meine Regierung noch ein paar Dinge von Ihnen wissen. Zum Beispiel ...« Er legte die Akte beiseite und kam zu mir herüber. »Wer oder was ist Titania?«
    Allmählich bekam ich Rückenschmerzen; die Steifheit ließ nach.
    »Na, entspannen Sie sich langsam wieder? Ein Kerl in Ihrem Alter sollte bald ...«
    »Über Titania weiß ich nichts.«
    »Dann lassen Sie mich erzählen, was wir über Titania wissen.« Er zog sich einen Hocker heran und setzte sich. »Erinnern Sie sich noch, worüber wir uns im Restaurant unterhalten haben? Aus London kommt niemand raus. Das ist die offizielle Parteilinie der RF. Aber Sie und ich wissen es besser. Sie sind nicht die einzigen Kinder, die entwischt sind. Überall in England sind Puppen aufgetaucht. In Schottland. In Wales. Und auch auf dem europäischen Festland. Ich vermute allerdings, dass Sie die einzigen Ausreißer sind, die es bis hierher geschafft haben. Jemand hilft den Puppen bei der Flucht. Nun, wir sind zwar der Überzeugung, dass die Reinheitsfront die Lage in London stabilisieren kann, aber nicht im ganzen Land. Dafür werden sie die Hilfe der USA benötigen.«
    »Sie nennen Massenmord ›Stabilisierung‹?«
    »Ich hab Ihnen doch gesagt, dass wir darüber nicht glücklich sind«, erwiderte er, sein Gesicht abgehärmt vom lebenslangen Bemühen, sich den Verhältnissen anzupassen. »Inzwischen verfügen wir über Informationen, dass jemand in London die Fluchten organisiert. Irgendjemand ist in der Lage, die Zonengrenze zu überwinden. Wir glauben, dass dieser ›Jemand‹ eine Große Schwester ist: eine der ursprünglichen Cartier-Automaten.«
    »Die sind alle zerstört worden«, sagte ich allzu hastig.
    »Das glaube ich nicht. Verraten Sie mir doch, wie Sie geflohen sind, Zwakh.«
    Ich verdrehte die Augen zur Decke.
    »Hören Sie«, sagte er. »Ich werde Sie nicht zwingen zu reden, aber zu Hause in England sieht das bestimmt anders aus. Das ist Ihnen doch klar, oder? Besser, wir wissen Bescheid, als die RF! Wir können als Vermittler auftreten. Eine Verfahrensabsprache treffen.«
    »Nein«, sagte ich.
    »Das Mädchen«, sagte er. »Wir könnten ihr helfen. Ich vermute mal, dass sie nicht freiwillig gemordet hat. Wissen Sie, was wir sagen können? Wir können sagen, dass sie die Puppenplage nicht verbreiten wollte. Also hat sie nach jeder Mahlzeit aufgeräumt. Richtig hygienisch. Aber eigentlich wollte sie überhaupt niemanden umbringen. Schließlich töten Lilim nicht, das läuft ihrer Programmierung zuwider. Wir könnten sagen, dass diese Schlampe Kito ...«
    »Es macht ihr Spaß«, sagte ich. »Sie haben recht ‒ wir sind Ungeheuer. Tiere.«
    »Wir werden Titania früher oder später sowieso auf die Schliche kommen«, sagte er. »Ich dachte nur, ich könnte Ihnen einigen Kummer ersparen, nichts weiter.« Er klatschte in die Hände und sprang auf. »Das war’s dann wohl. Für’s Erste. Operation Schwarzer Frühling ist für mich zu so etwas wie einem Steckenpferd geworden. Ich kann einfach nicht die Finger davon lassen.« Als mein Körper noch ein paar Zentimeter weiter nach unten sackte, kicherte er. »Himmel, das sieht ganz schön unbequem aus.« Er wuchtete mich in die Vertikale. »Wissen Sie ‒ als ich mich dem Auslandsdienst angeschlossen habe, habe ich ehrlich geglaubt, ich könnte die Welt verbessern. Scheint ewig her zu sein. Die Aube du millénaire . Herrgott, das waren Zeiten! Meine Frau und ich haben unsere Flitterwochen in Europa verbracht. Wenn ich dran denke, was Europa zur Zeit durchmacht ...«
    »Primavera macht das Töten Spaß«, sagte ich. »Und Ihnen? Essen Sie oft im Londoner ? Was tun Sie denn sonst so, wenn Sie nicht gerade kleine Mädchen in den Tod schicken?«
    »Von einem käuflichen Killer muss ich mir keine Vorhaltungen machen lassen, Zwakh. Vielleicht können wir uns später noch mal unterhalten. Ich bin mir dessen sogar ziemlich sicher! Wenn Sie etwas Zeit hatten nachzudenken. Und vergessen Sie nicht, was ich über Aphrodisiaka gesagt habe. Und darüber, wie überzeugend wir sein können. Vergessen Sie nicht, dass wir Ihre kleine Freundin haben. Niemand muss sterben. Glauben Sie mir ‒ ich kann Ihnen helfen!«
    Er rief nach dem Wachmann.
    Ich wurde wieder zu Primavera in unsere Liebesgruft gebracht. Ein Marine bezog Stellung neben der Tür, sein Gesicht so ausdruckslos wie eine Friedhofsstatue.
    Ich konnte nur an Flucht denken.

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