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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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Korridor wurden Befehle gebrüllt, Funkgeräte winselten, und Waffen wurden entsichert. Der Staub legte sich; im Mauerwerk der Botschaft klaffte ein mannsgroßes Loch.
    Ich erhob mich, meine Beine steif und schwerfällig.
    »Hilf mir aus dem Kleid!«, sagte Primavera. Ich öffnete den Reißverschluss; in Filetstücke zerteilt wand es sich, fiel zu Boden und machte dabei ein Geräusch wie ein rohes Steak, das auf einen Bratrost klatscht.
    »Du bist verletzt«, sagte ich. Auf ihrer Stirn war eine bläuliche Schwiele erblüht.
    » Dummkopf! Ich bin eine Puppe. Alle meine wichtigen Teile sind da unten.« Die Tür begann zu schmelzen. »Möchtest du noch länger hier rumhängen, oder verschwinden wir jetzt?«
    Sie nahm meine Hand und sprang.
    Wir fielen durch die heiße Nacht und tauchten in das trübe Wasser eines Khlong. Ich strampelte mit den Füßen, um an die Oberfläche zurückzugelangen; aber Primavera, die sich an mich klammerte wie eine böse Meerjungfrau, schien genau das verhindern zu wollen. Ich öffnete die Augen, doch das Wasser brannte; also schloss ich sie wieder und ergab mich der Blindheit. Ich hatte nur Primaveras Gesicht gesehen, von zwei grünen Laternen erleuchtet; schwacher Fackelschein tanzte durch die Tiefe. Ich wehrte mich; Primavera legte mir die Arme um den Nacken, küsste mich und blies mir ihren heißen Atem in die Lungen. Als wir den Grund erreichten, löste sie ihren Griff und führte mich über den Altmetalldschungel, wobei sie nur stehen blieb, um meine Lungen mit Sauerstoff zu füllen ‒ ein Kuss, der sich für so viele als de luxe und äußerst giftig erwiesen hatte.
    Als unsere Köpfe die Wasseroberfläche durchstießen, fanden wir uns in einer schmalen Gasse wieder, die zur Sukhumvit Road führte. Der grüne Schein eines aus Millionen von Pixeln bestehenden Coca-Cola-Schilds beleuchtete das Wasser; in der Nähe schwamm ein Taxi. Primavera schleppte mich am Kragen zu dem kleinen Boot. Es war leer. Wir zogen uns an Bord und blieben erschöpft liegen, den Blick starr auf die von der Dämmerung zerklüfteten Wolken gerichtet. Es regnete noch immer, aber das Gewitter war vorübergezogen.
    »Ich glaube«, sagte Primavera, »ich glaube, ich weiß, warum sie es getan hat.«
    »Kito? Wegen des Geldes natürlich. Puppen kennen keine Ehre.«
    Primavera schüttelte den Kopf. »Die Amerikaner haben etwas gegen sie in der Hand. Jedenfalls glaubt sie das, aber ...« Plötzlich stieß sie einen Schrei aus, krümmte sich vornüber und hielt sich den Bauch. »Sie ist die Einzige, die mir helfen kann, Iggy.« Sie sprach mit zusammengebissenen Zähnen. »Diese Nanomaschinen: Sie ... sie nehmen mich auseinander!« Sie hielt die Luft an und atmete dann sichtlich erleichtert aus. Ich legte die Hand auf die bleiche Haut unter dem Hüftgürtel.
    »Tut es so weh?«
    »Das Zeug ist fäkal, Iggy. Wirklich fäkal!« Sie rollte sich zu mir herum. Wimperntusche lief ihr über die Wangen und bildete ein schwarzes Delta aus Tränen. »Einige der besten Nanotechniker arbeiten für Kito. Und sie hat diese ganzen Laboratorien, all das Zeug !«
    »Du bist verrückt. Sie hat uns verraten!«
    »Sie haben sie erpresst, Iggy, und ich glaube, ich weiß auch, wie. Ich hab da was gehört. In der Botschaft. In meinem Kopf. Ich habe es geträumt. Wenn ich Kito beweisen kann, dass sie nichts zu befürchten hat ...«
    Ich beugte mich über den Bootsrand und erbrach, was noch von dem Bier übrig war. Die Straßen erwachten allmählich zu neuem Leben. Garküchen machten auf. Eine Gruppe von Mönchen defilierte vorbei und sammelte Almosen. Ich sah nach meinem Geldgürtel; meine elektrischen Baht waren noch intakt.
    »Wir müssen uns verstecken«, sagte ich. »Uns waschen und frische Kleider besorgen. Dann reden wir. Vernünftig.« Ich kroch zum Heck und ließ den langen Propellerarm des Bootes ins Wasser gleiten. Der Außenborder war umgerüstet worden, damit er synthetisches Benzin schluckte (dass schmutziger war als das ‒ vom Westen verbotene ‒ Original, sagten diejenigen, die sich daran erinnern konnten; eines von vielen Produkten, die auf dem Schwarzmarkt Bangkoks verkauft wurden). Ich gönnte dem Motor ein kleines mechanisches Vorspiel, bis er endlich aufheulte. Wir fuhren davon, in unserem Kielwasser schwarzer Rauch und schwarze Gischt.
    Als wir den breiten Sukhumvit-Kanal erreichten, lag der Nana hinter uns, und die Lichter entlang des Platzes erloschen eines nach dem anderen, als es heller wurde. Der Geruch ermatteter

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